„Weiße Flecken“ von Lene Albrecht
Der in drei Teile gegliederte Roman „Weiße Flecken“ von Lene Albrecht ist eine anekdotische wie historische Spurensuche, die sich Zweifel zugesteht und eine von narzisstischen Kränkungen und Gewalt durchzogene Geschichte freilegt.
Eine zentrale Frage in dem autofiktionalen Roman „Weiße Flecken“ von Lene Albrecht: Wie und von welcher Position aus lässt sich Geschichte adäquat erzählen, ohne Gewalt zu reproduzieren?
„Weiße Flecken“ von Lene Albrecht ist unsere Buchempfehlung der Woche.
Im Auftrag, Fluchtursachen zu erforschen, ist Ellen für das Bundesamt für Migration und Flucht nach Togo gereist. Für ihre Freundin Neda ist sie eine Opportunistin. Sei das BAMF doch ohnehin nicht an echten Lösungen interessiert. Mit diesem Vorwurf im Gepäck landet sie inmitten einer von europäischen Geldern finanzierten NGO-Infrastruktur, die wie ein Pilzbefall die Region übersät. Statt auf eindeutige Antworten stößt Ellen auf ganz individuelle Schicksale, die von einem – im wahrsten Sinne – gewaltigen kolonialen Erbe Europas und seiner vermeintlich abgeschlossenen Geschichte zeugen. Mit jeder Begegnung wächst ihre Scham.
„Ich will, dass die Leute meine Geschichte kennen, aber ich habe immer Angst, hinter ihr zu verschwinden“, erklärt ihr eine Schneiderin. Ein zentraler Satz in Lene Albrechts autofiktionalem Roman. Wie und von welcher Position aus lässt sich Geschichte adäquat erzählen, ohne Gewalt zu reproduzieren? Und wann ist es an der Zeit, zuzuhören? Nach einigen Tagen Krankenhausaufenthalt landet Ellen wieder in Deutschland. Diesmal mit einem persönlichen Rechercheauftrag: Wieso ist ihre Urgroßmutter vor über 100 Jahren aus Panama nach Deutschland gekommen? Der in drei Teile gegliederte Roman ist eine anekdotische wie historische Spurensuche, die sich Zweifel zugesteht und eine von narzisstischen Kränkungen und Gewalt durchzogene Geschichte freilegt. Eine Warnung, wie fatal es ist, sich aus historischen Kontexten herauszuziehen und für standpunktlose Beobachter:innen zu halten.
Mit „Weiße Flecken“ hat es Lene Albrecht auf unsere Liste der besten Bücher im März 2024 geschafft.