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„Warm Chris“ von Aldous Harding: Freak und zufrieden

Portraitfoto Aldous Harding
(Foto: Emma Wallbanks)

Vordergründig klingt Aldous Harding auf „Warm Chris“ nach Sonnenschein, doch hintenrum wird die Lederpeitsche geschwungen.

Zugegeben, es wirkt verlockend, zu dem Artpop von „Warm Chris“, dem neuen album von Aldous Harding  einen Liegestuhl zurechtzurücken, sich zurückzulehnen, durchzuatmen, vielleicht noch einen Cocktail lässig in der Hand zu schwenken. Afterhour-Wohlfühl-Chill-Time? Nichts wäre weiter von der Neuseeländerin entfernt. Im Gegenteil: Harding gilt spätestens seit der zweiten Platte „Party“ als musikalische Ausnahmeerscheinung, zu ihrem 2019 erschienenen Album „Designer“ und der Single „The Barrel“ haben Indiefans überall Hardings eckige Bewegungen nachgetanzt.

Eckig trifft es überhaupt ganz gut, denn Hannah Sian Topp, wie Aldous Harding eigentlich heißt, mag lieblich ins Mikro singen, doch wer sie live erlebt, erkennt eine Künstlerin, die gnadenlos jegliche Eitelkeit ablegt und mit wilden Fratzen, ungelenken Bewegungen und einer – ihrer Schüchternheit geschuldeten – Unnahbarkeit das Publikum verstört und betört. Das gilt auch für die teils surrealen Videos, erst recht aber für ihre kryptischen Lyrics, die auf dem neuen Album „Warm Chris“ mit Zeilen wie „Lick my instep I miss the funk it leaves on me“ oder „Breathing time is a lonely state of mine(mind)“ aufwarten.

Auf „Warm Chris“ verwandelt Aldous Harding ihren inneren Freak in großartige Kunst

Wem es gelingt, der Irritation standzuhalten, hört hier eine Künstlerin, die ihren inneren Freak in großartige Kunst verwandelt. Auf „Warm Chris“ veredelt Harding ihren ganz und gar eigenen Grenzgang aus Kammerpop, Indiesoul und Freakfolk, indem sie stimmlich von Aimee Mann bis Courtney Barnett und musikalisch von Joni Mitchell bis Joan As Police Woman rangiert. Klavier, Bass und Schüttelrhythmen untermalen eine Atmosphäre aus sinnlicher Androgynität. So sind Stücke wie „Fever“ mit seinen coolen Juchzern oder das finale „Leathery Whip“, wo Hardings Stimme zwischen dumpf und schrill wechselt, der Rest des Songs aber in monotoner Konzentration pulsiert, viel zu verheißungsvoll, um bloß Hits zu sein. Immer schwingt eine andere, oft wunderbar unergründliche Ebene in Aldous Hardings Musik mit. Die des Freaks eben.

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