Was du nicht siehst
Annette Mingels erzählt in „Dieses entsetzliche Glück“ von ganz unterschiedlichen Figuren und deren Gefühlswelten, die jedoch eine Sehnsucht eint.
Woanders ist das Gras viel grüner. Jedenfalls scheint es oft so. Die fiktive Kleinstadt Hollyhock wird zum Knotenpunkt der Lebenswege von 15 Menschen, von denen Annette Mingels in für sich stehenden und gleichzeitig doch miteinander korrespondierenden Erzählungen berichtet. So verschieden die Situationen und Gefühlswelten der Figuren zunächst wirken, teilen sie doch alle letztlich eine Sehnsucht nach dem, was sie vermeintlich nicht haben: Während Amy und Robert ihre Erfüllung in einer offenen Beziehung suchen, übersehen sie, wie sehr sie einander brauchen. Auch der Schriftsteller Kenji blickt zweifelnd auf seinen Erfolg und ahnt nicht, wie andere zu ihm aufsehen. Seine Schwester Aiko dagegen erträgt stillschweigend die Last ihres Alltags, gilt jedoch als glückliche und aufstrebende Studentin. Und Basil scheint als langjähriger Jugendfreund gänzlich aus Kenjis Lebenserinnerungen gestrichen worden zu sein, steht jedoch unmittelbar in seiner Nähe. Annette Mingels Freude, Geschichten zu erzählen, wird durch ihren einfühlsamen Blick auf das Innenleben ihrer Protagonist*innen spürbar. Sie lässt eine Nähe zu den Figuren zu, die betroffen macht, und verdeutlicht zugleich, wie weit sie sich durch das Schweigen voneinander entfernen. Wird es Annette Mingels in ein paar Woche auf unsere Liste der besten Bücher 2020 schaffen?