„Ghost Song“ von Cécile McLorin Salvant: Die Geister, die sie ruft
Cécile McLorin Salvant wird vor allem für ihre Stimme gelobt – dabei ist sie auf „Ghost Song“ auch die Meisterin des roten Fadens.
Durch ein fast unhörbares Rauschen schneidet eine Stimme, hallt durch den leeren Raum, kommt näher und näher. So beginnt die US-amerikanische Jazzsängerin Cécile McLorin Salvant ihr neues Album „Ghost Song“. Die unbekannte Stimme erweist sich als die von Cathy Earnshaw aus dem Roman „Sturmhöhe“, denn Salvant hat neben sieben Eigenkompositionen auch fünf Cover versammelt: Das erste ist ihre minimalistische Version von Kate Bushs „Wuthering Heights“.
Natürlich muss Salvant das Album mit ihrer Stimme beginnen: Das helle, wandlungsfähige Organ ist ihr Markenzeichen, vom Spiegel wurde sie gar als die „Erbin von Billie Holiday“ betitelt. Doch es würde viel zu kurz greifen, die Künstlerin nur als Sängerin zu feiern, und „Ghost Song“ ist weit mehr als eine Kollektion von Songs. Auch als Komponistin, Texterin und Arrangeurin probiert Salvant Dinge aus, die ihren Kolleg:innen nicht einmal einfallen würden. Die Schwesternstücke „Ghost Song“ und „Moon Song“ sind klassische Liebeslieder, „Obligation“ ein atemloser Monolog über die Rolle der Frau in Beziehungen, „Trail Mix“ ein kurzes Klavier-Instrumental. Für „Dead Poplar“ hat Salvant einen Brief von Alfred Stieglitz an Georgia O’Keefe vertont.
Salvant, die klassisch ausgebildet wurde, lässt sich – wie die Tracklist unschwer erkennen lässt – auch von Genres wie Pop und Folk inspirieren. Der vielleicht größte Einfluss aber ist wohl ihre Liebe zu Musicals: Nicht nur, dass sie Stücke aus „Der Zauberer von Oz“ und der „Dreigroschenoper“ covert, auch die anderen Songs singt Salvant, als stünde sie kostümiert auf einer Bühne und wolle nicht nur Emotionen transportieren, sondern eine Geschichte erzählen, und unterlegt sie mit einer inneren Dramaturgie. So ist „Ghost Song“ praktisch ein Konzeptalbum, auch wenn die titelgebenden Geister sich oft als Überbleibsel einer Beziehung erweisen. Zum Schluss kommt dann wieder ein echtes Gespenst vor: In der irischen Ballade „Unquiet Grave“ fordert eine verstorbene Geliebte die trauernde Person auf, ins Leben zurückzukehren. Savant singt sie unbegleitet, und nach und nach wird ihre Stimme leiser, ferner, bis sie hinter fast unhörbarem Rauschen verschwindet. Und wir bleiben entgeistert zurück, dass ein so abwechslungsreiches Album so rund sein kann.