Das sind unsere Alben des Jahres 2020
2020 war für die Tonne – doch zumindest für die Platten gilt das nicht. Hier sind unsere Alben des Jahres 2020 mit Bright Eyes, Sufjan Stevens, Adrianne Lenker, Phoebe Bridgers und Perfume Genius.
Während man Ende 2019 diskutieren konnte, welches der beiden Alben von Big Thief denn nun besser ist und als Platte des Jahres gekürt werden sollte, ist 2020 nur ein Soloalbum von Sängerin Adrianne Lenker im Rennen. Schafft sie es mit „songs + instrumentals“ an die Spitze unserer Liste mit den Alben des Jahres 2020? Wie stark ist das Comebackalbum von Bright Eyes wirklich? Und wie schlägt sich Sufjan Stevens nach jahrelanger Abstinenz mit dem regulären Nachfolger zu „Carrie & Lowell“? Natürlich dürfte auch Mike Hadreas wie mit bisher jedem Parfüme-Genius-Album ein Wörtchen mitreden. Haim haben ein grandioses Popalbum aufgenommen, und schließlich ist da natürlich auch noch das zweite Album von Phoebe Bridgers.
Jahresrückblick 2020: Die besten Alben Plätze zehn bis sechs
10. Sault: Untitled (Rise + Black Is)
9. Moses Sumney: Grae
8. Fiona Apple: Fetch the Bolt Cutters
7. Sufjan Stevens: The Ascension
6. Porridge Radio: Every bad
Unsere Top 5 der besten Alben 2020
5. Bright Eyes: „Down in the Weeds, where the World once was“
Wenn nach neun Jahren nun ein mit 14 Songs sehr üppiges Comebackalbum vorliegt, ist nicht nur der Gesang von Oberst so wundersam vertraut, der auch mit 40 noch diese brüchige Jungsstimme hat. „Down in the Weeds, where the World once was“ referenziert die Bright-Eyes-Vergangenheit: den LoFi-Charme von „Fever and Mirrors“, die Studio-Raffinesse von „Digital Ash“ und von „Cassadega“ die orchestrale Wucht. Doch natürlich entwickeln sie den eigenen Sound auch weiter, indem sie mit Jon Theodore am Schlagzeug und Red-Hot-Chilli-Peppers-Bassist Flea neue Ideengeber ranholen oder etwa bei „Persona non grata“ erstmals mit Dudelsäcken arbeiten.
„Für mich ist am wichtigsten, dass die neuen Stücke nicht nur auf meinen Ideen basieren, sondern im Zusammenspiel mit Mate und Mike entstanden sind“, sagt Oberst im Interview mit kulturnews. Wenn der dräuende Popsong „Pan and Broom“ das Zeug hat, die Nachfolge von „Lover I don’t have to love“ anzutreten, so ist das der Ping-Pong-Arbeitsweise von Walcott und Oberst geschuldet, und mit „Dance and sing“ schiebt Oberst auch die Credits für einen weiteren Höhepunkt der Platte seinem Kollegen rüber. „Bei mir wäre das Stück nur wieder ein reduzierter Folksong geworden, doch als Nate das Stück verkompliziert und sogar einen Gospelchor eingebaut hat, musste ich plötzlich an Louis Armstrong denken.“
4. Haim: Women in Music Pt. III
Es ist nicht zuletzt Haim zu verdanken, dass mittlerweile immerhin die Frage diskutiert wird, ob Musikfestivals wirklich Pimmelparaden sein müssen. Da passt es ganz gut, dass die Schwestern aus L.A. ihr drittes Album „Women in Music Pt. III“ nennen, denn es unterstreicht ihren Anspruch auf die Headlinerspots. Wie gehabt holen sie mit spielerischer Leichtigkeit den Folk à la Fleedwood Mac und 80er-Pop ins Jetzt und platzieren dazwischen auch noch ganz selbstverständlich eine funkelnde R’n’B-Nummer.
Neu ist jedoch, dass mittlerweile auch die Texte auf Augenhöhe mit ihrer Pop-Cleverness sind. Mit „I’ve been down“ singt Danielle Haim gegen Depressionen an, in „Hallelujah“ verarbeitet Alana Haim den Tod einer engen Freundin, und „The Steps“ ist eine klare Ansage in Richtung Boyfriends.
3. Adrianne Lenker: songs + instrumentals
Eigentlich ist es ja wieder ganz großer Hippie-Mist: Nachdem im März die Tour von Big Thief aus bekannten Gründen vorzeitig abgebrochen werden musste, hat sich Sängerin Adrianne Lenker in eine abgeschiedene Hütte in den Bergen von Massachusetts zurückgezogen. „How’d you like to get outta the city and make a record that sounds like the inside of an acoustic guitar?“, lautete kurz darauf ihre Frage an Soundengineer Philip Weinrobe. Zum Waschen gab es einen Bach in der Nähe, zum Kochen hatten sie einen Holzofen, und als Weinrobe nach drei Wochen endlich ein 8-Spur-Aufnahmegerät in der Einöde aufgetrieben hatte, war Lenker auch schon mit dem Songwriting fertig.
Am 23. Oktober sind dann sogar zwei Alben erschienen: „instrumentals“ ist eine Collage der Jam-Sessions, mit denen sich die beiden nach den eigentlichen Aufnahmen die Zeit vertrieben haben. Vor allem aber sind da die elf fragilen Kompositionen von „songs“, mit denen Lenker die schmerzhafte Trennung von ihrer Freundin Indigo Sparkle verarbeitet. „I don’t wanna talk anyone/I wanna sleep in your car while you’re driving/Lay on your lap when I’m crying“, singt sie etwa in „anything“ – und wieder einmal wird klar, warum man Adrianne Lenker auch den schlimmsten Hippie-Mist liebend gern durchgehen lässt.
2. Perfume Genius: Set my Heart on Fire immediately
Betrachtet man seine Entwicklung über jetzt fünf Alben, dann ist es ein Weg, der ausgehend vom Schmerz des Debüts mit Themen wie Missbrauch, Drogen und Selbstzerstörung einen Heilungsprozess und eine Art Wiedergeburt beschreibt. Der große Durchbruch von von Mike Hadreas alias Perfume Genius war vor drei Jahren das Album „No Shape“, mit dem er endgültig den Platz hinter dem Klavier aufgegeben und sich zum Performer gewandelt hat.
Mit „Set my Heart on Fire immediately“ zelebriert er nun die größtmögliche Freiheit und Unabhängigkeit. Stücke wie „On the Floor“ schreiben POP ganz groß, beschreiben romantische Achterbahnfahrten und das kompromisslose Begehren – doch sind genau das eben auch Gefühle, vor denen Hadreas sich schützen will und muss. „Das ist der große Zwiespalt, in dem ich mich gerade befinde. Wie weit kann ich mich öffnen und die mich beschützende Isolation verlassen? Ich will das große Drama und die absoluten Gefühle nicht komplett aufgeben, denn das sind die Orte, an die ich mich begebe, wenn ich kreativ bin und etwas erschaffe“, sagt er im Interview mit kulturnews.
1. Phoebe Bridgers: Punisher
Es war klar, dass ihr zweites Album groß werden wird: Das hat das Debüt „Stranger in the Alps“ angedeutet, unterstrichen wurde es von Better Oblivion Community Center, dem gemeinsamen Projekt mit Conor Oberst, und schließlich war da auch noch boygenius, diese Supergroup, die sie gemeinsam mit Lucy Dachs und Julien Baker betreibt. Doch „Punisher“ hat die hochgesteckten Erwartungen sogar noch übertroffen.
Es ist das ergreifendste Folkalbum des Jahres, aber Bridgers bricht aus diesem Korsett auch immer wieder aus, indem sie mit „Kyoto“ mal eben den Popsong des Jahres vorlegt oder bei „I know the End“ mit ganz viel Getöse nicht weniger als die Apokalypse zelebriert. Ach ja, der Award für den traurigsten Song des Jahres geht mit „Punisher“ natürlich auch an Phoebe Bridgers. „Es ist ein Liebeslied für Elliott Smith“, verrät sie im Interview mit kulturnews. „Würde er heute noch leben, wären wir Nachbarn in L.A.“