Die besten Bücher für den Sommer 2020
Leicht, kompakt und gut erzählt: Die fünf besten Sommerbücher mit Meike Wetzel, Fabian Hischmann, Yasmina Reza, Wolf Haas und Victor Jestin.
Die besten Bücher für den Sommer 2020: In der Sonne liegen und was lesen, was Schönes, was zum Träumen oder Nachdenken – wir haben die fünf besten Sommerbücher herausgesucht. Keine dicken Riesenwelzer, dafür leicht und kompakt – perfekt für die Tasche zum Ausflug an den Badesee: Ein Episodenroman, verschlungene Erzählungen und tiefschichtige Coming-of-Age-Geschichten.
5. Fabian Hischmann: Alle wollen was erleben
Nach seinem Debüt „Am Ende schmeißen wir mit Gold“ und dem Episodenroman „Das Umgehen der Orte“ schließt Fabian Hischmann seine Trilogie ab. In „Kreise“, der letzten und längsten Erzählung seines neuen Bandes „Alle wollen was erleben“ treffen wir wieder auf Max Flieger, der sich nach Psychiatrie, Wohngruppe und dem Wiedereinstieg als Lehrer der Herausforderung stellt und erneut nach Kreta fliegt, wo einst seine Eltern durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen sind. Hier besucht er Timon und Valentin, die inzwischen ein Paar sind und in der alten Taverne von Timons Eltern ein Sterbehospiz eröffnen wollen. Flankiert wird „Kreise“ von zwölf weiteren Texten, die allesamt an die Schnittstellen von Biografien gehen, in denen neue Lebensentwürfe gefordert sind. Auf engstem Raum beweist Hischmann sein Talent für assoziationsreiches, hochaktuelles Erzählen und tiefenscharfe Psychogramme. So mischt sich in die Traurigkeit über das Ende der Trilogie auch die Vorfreude auf neue Projekte des 36-jährigen Autors.
Fabian Hischmann Alle wollen was erleben
Berlin Verlag, 2019, 176 S., 18 Euro
4. Meike Wetzel: Entfernte Geliebte
Jeder Satz in Meike Wetzels Erzählungen ist wie der Arm einer Schlingpflanze. Nach und nach wächst die Geschichte um die Figuren, bis nicht mehr ersichtlich ist, ob sie ein Teil des Ganzen oder darin gefangen sind. Jeder Satz droht, die Wahrnehmung der Lesenden aus den Angeln zu heben, und so gleicht man selbst plötzlich den verlorenen Romantiker*innen, von denen Wetzel so mitreißend erzählt. Ein Mann sagt einer Frau: Ich liebe dich. Sie schicken sich Briefe, leben sich getrennt auseinander, finden zu anderen, dann doch zueinander – und der Schluss offenbart ebenso viel, wie er verbirgt. Wetzels Erzählungen verblüffen. Nicht nur mit den Fragen, die sie aufwerfen, sondern damit, dass es ihr gelingt, diese Wendungen so wenig ausgestellt umzusetzen. Ihre Widerhaken sind nie dem billigen Suspense eines Cliffhangers geschuldet, sondern ergeben sich aus der Plastizität ihrer Figuren, dem Spiel zwischen Schärfe und Unschärfe, dem Rhythmus und der Melodie ihrer Sprache. „Entfernte Geliebte“ ist wie eine Aneinanderreihung von Träumen. Sie erschließen sich nicht immer, aber das fällt nicht ins Gewicht. Sie begleiten einen noch lange.
Meike Wetzel Entfernte Geliebte
Schöffling, 2019, 240 S., 20 Euro
3. Yasmina Reza: Anne-Marie die Schönheit
Erzählerin Anne-Marie blickt auf ihr Leben als Schauspielerin zurück. Anlass ist der Tod einer Kollegin namens Giselle Fayolle, die alles hatte, wonach Anne-Marie sich sehnte: Schönheit. Erfolg. Reichtum. Männer. Die Erzählerin dagegen blieb stets in der Mittelmäßigkeit verhaftet, und die Verbitterung darüber trieft aus jeder Zeile ihrer Selbstbetrachtung. Was Reza fantastisch gelingt, ist, die Marotten des Alters einzufangen: dieses abrupte Springen zwischen den Gedanken; diese Ehrlichkeit, die fast zwangsläufig immer wieder ins Boshafte rutscht; diese Abgeklärtheit und Selbstkritik, gepaart mit einer Milde, die sich in dem Versuch zeigt, das eine oder andere nachträglich zu rechtfertigen.
Hanser, 2019, 80 S., 16 Euro
Aus d. Franz. v. Frank Heibert u. Hinrich Schmidt-Henkel
2. Wolf Haas: Junger Mann
Ein leiser Coming-of-Age-Roman mit Haas-typischem Humorsound: ein Sommer der Abenteuer für den Helden, der als Gymnasiast an einer Tankstelle jobbt und plötzlich in einem LKW nach Thessaloniki sitzt. All das wird uns so entspannt und zurückgelehnt erzählt, wie das nur für die 1970er funktioniert. Am Ende der Geschichte ist der Junge zwar noch nicht erwachsen, hat aber in nur wenigen Wochen einen enormen Weg dorthin zurückgelegt. Und wir wissen jetzt, wie es in der Jugend des Schriftstellers Wolf Haas ausgesehen haben mag – wenn er uns nicht doch wieder reingelegt hat, diesmal mit einem autobiografischen Entwicklungsroman.
Hoffmann und Campe, 2019, 240 S., 14 Euro
1. Victor Jestin: Hitze
Gleich der erste Satz von „Hitze“ geht in die Vollen: „Oscar ist tot, weil ich ihn beim Sterben zugesehen habe, ohne mich zu rühren.“ Der Franzose Victor Jestin begleitet mit seinem Debütroman den jugendlichen Helden Léonard auf einen Campingplatz und erzählt von der Angst, die dieser Ferienort in Léonard auslöst.Die Anfangsdramatik schafft einen Kontrast, der die dunklen Seiten der Campingplatzsituation deutlich werden lässt: Der tragische Erzähler Léonard wacht inmitten von Feiern, Gelächter und Grillpartys auf. Manchmal weiß man nicht einmal mehr, warum er sich schlecht fühlt: Weil er den Selbstmord eines Jungen beobachtet und seine Leiche vergraben hat, oder einfach weil er auf diesem Campingplatz Urlaub macht. Gerade mal 150 Seiten benötigt Jestin für sein tiefenscharfes Psychogramm und das unterschwellige Bedrohungsszenario des Camplingplatzes. Und ganz nebenbei schreibt er auch noch die vielleicht besten schlechten Sexszenen. „Ehrlich gesagt hat es genügt, mich an meine katastrophalste Erfahrung zu erinnern und sie ohne allzu große Scham zu erzählen“, kommentiert der 25-Jährige im Interview mit kulturnews.
Kein & Aber 2020, 160 S., 20 Euro
Aus d. Franz. v. Sina de Malafosse