„Am roten Strand“ von Jan Costin Wagner: Raus aus den einfachen Denkstrukturen
Ganz eigentlich ist „Am roten Strand“ natürlich ein Krimi, doch geht Jan Costin Wagner hier ein Thema an, das in der Literatur grundsätzlich neu verhandelt werden sollte.
„Ben startet den Wagen. Sie fahren. Ben sieht und hört nichts mehr. Die Gegenwart des Jungen neben ihm ist allumfassend, beansprucht jede seiner Wahrnehmungen. Der Junge zeigt den Weg, der Wagen schlägt die Richtung ein, auf einem leeren Parkplatz am Waldrand kommen sie an.“ Nach dem Abschluss seiner Reihe um den finnischen Ermittler Kimmo Joentaa hat Jan Costin Wagner vor drei Jahren einen Neuanfang gewagt: „Sommer bei Nacht“ ist ein extrem spannender Krimi um einen entführten Jungen, der die Abgründe eines Pädophilennetzwerks durchleuchtet.
Doch spektakulär ist vor allem Wagner tiefenpsychologische Zeichnung seines Wiesbadener Ermittlerteams, in dessen Zentrum ein zwiespältiger Sympathieträger steht: Ben Neven steht auf minderjährige Jungs. Der verheiratete Vater einer kleinen Tochter durchlebt schlimmste Qualen, weil er sichergestelltes Beweismaterial eben auch als Onanievorlage nutzt. „Am roten Strand“ schließt nun direkt an den Vorgänger an: Ben muss sich vor einem Untersuchungsausschuss verantworten, weil er einen der Täter erschossen hat, obwohl dieser unbewaffnet gewesen ist. Nach und nach decken die Ermittler das Netzwerk auf – doch dann wird einer der Täter ermordet, und kurz darauf stirbt ein weiterer Verdächtiger in Untersuchungshaft …
Ohne zu verharmlosen oder zu rechtfertigen verhandelt Jan Costin Wagner das Thema Pädophilie in „Am roten Strand“ jenseits der einfachen Denkstrukturen
Durch Perspektivwechsel dringt Wagner ganz tief in seine Figuren ein: Ohne zu verharmlosen oder zu rechtfertigen verhandelt er das Thema Pädophilie jenseits der einfachen Denkstrukturen, die in den Tätern nur das absolute Böse sehen. Es ist sein Antiheld, der die Informationen aus dem Darknet nutzt, um auf dem Parkplatz eines Erlebnisbades nach ganz jungen Strichern aus Bulgarien und Rumänien zu suchen. „Am Ende reißt Ben die Augen weit auf, dann verschließt er sie. Denkt, dass er sie für immer verschlossen halten wird, aber er hat sie schon wieder geöffnet. Sein Körper zuckt. Der Junge zieht sich sein T-Shirt an. Er sieht Ben kurz an, verunsichert, bevor er den Geldschein an sich nimmt.“