„Einer von den Guten“ von Jan Costin Wagner
Es geht um einen sympathischen Ermittler – der sich zu minderjährigen Jungen hingezogen fühlt. Jan Costin Wagner im Interview zu seinem neuen Roman „Einer von den Guten“.
Mit „Einer von den Guten“ etabliert er die derzeit wohl kontroverseste Figur der deutschsprachigen Literat. Wir haben mit Jan Costin Wagner über seinen neuen Roman gesprochen.
„Einer von den Guten“ von Jan Costin Wagner ist unsere Buchempfehlung der Woche.
Jan, mit jetzt drei Romanen hast du die derzeit wohl kontroverseste Figur der deutschsprachigen Literatur etabliert. Der sympathische Ermittler Ben Neven ist eine Identifikationsfigur, doch wenn er mit seinen Kolleg:innen ein Pädophilennetzwerk hochgehen lässt, macht er sich die gewonnenen Informationen auch zunutze – denn der verheiratete Familienvater steht selbst auf minderjährige Jungs. Wenn ich deine Bücher weiterempfehle, stoße ich sehr oft auf eine Abwehrhaltung – und das auch bei Leuten, die in der Literatur nach Herausforderungen suchen.
Jan Costin Wagner: Ich vermute, letztlich gibt es zwei Hürden. Die eine ist das Thema als solches. Wobei ja interessant ist, dass es im Krimi-Genre eigentlich nicht auf Widerstand stößt – und das, obwohl es da meist viel reißerischer und expliziter behandelt wird. Und die zweite Hemmschwelle ist diese Romanfigur Ben Neven. Dieser vermeintlich Gute, der vereinfacht gesprochen böse ist.
Wenn Taten von einem durch und durch bösen Menschen begangen werden, kann ich mir als Lesender sehr gut einreden, all das hätte mit mir rein gar nichts zu tun.
Wagner: Dieses Von-sich-Abspalten ist genau das, was hier nicht geht. In Genreromanen ist die Abspaltung häufig so leicht, weil diejenigen, die solche Taten begehen, so weit von uns weg sind. Es sind gewissermaßen keine Menschen, sondern Monster. Das Tatgeschehen ist dann gar nicht mehr in einem Raum, in dem Menschen agieren, sondern es ist außerhalb. Und genau das ist für mich ein Grund gewesen, diese Figur zu etablieren. Ich wollte das Monster zeichnen, ohne dabei den Menschen aufzugeben, der die Taten begeht. Ich wollte den Menschen nicht preisgeben.
Wir machen bei diesem Thema keine Fortschritte, wenn wir die Täter nur als Monster stigmatisieren.
Wagner: Ich bin der Überzeugung, dass ein Diskurs und eine Betrachtung niemals gelingt, solange man nicht dahin geht, wo es weh tut. An dieser Stelle weist das Buch in meinen Augen auch über das Thema hinaus. Es lässt sich auf alle neuralgischen Themen anwenden, für die wir keine Lösungen und Antworten finden und die mit Schuld verknüpft sind. Wir müssen einander begreifen lernen, um überhaupt vergeben oder Lösungen aufzeigen zu können. Den Holocaust als Schlimmstmögliches können wir in meinen Augen nur begreifen, wenn wir verstehen, dass Menschen das getan haben. Menschen wie wir. Das ist die Voraussetzung, um zu begreifen, dass der Holocaust unvergleichlich ist und niemals bagatellisiert werden kann. Die Bagatellisierung gelingt im Prinzip erst dann, wenn ich das außerhalb meiner selbst verorte. In dem Moment habe ich es auf die effektivste Weise bagatellisiert. Streng genommen muss ich mich gar nicht mehr damit beschäftigen – und das ist ja das Fatalste, was passieren kann.
An Ben hast du dich nach und nach rangeschrieben. In „Sommer bei Nacht“ haben wir erfahren, dass er Beweismaterial als Onanievorlage nutzt. In „Sommer bei Nacht“ nutzt er Informationen aus dem Darknet, um sich auf einem Parkplatz mit einem ganz jungen Stricher aus Rumänien zu treffen. Und „Einer von den Guten“ rückt jetzt diese Verbindung von Ben und dem 13-jährigen Adrian ins Zentrum.
Wagner: Tatsächlich war es eine Art Annäherung an die Figur. Aus der Vielperspektive wurde es immer mehr zum Gang durchs Nadelöhr. Und es ist signifikant auch die Entwicklungsgeschichte einer Eskalation. So wie wir uns an die Figur herantasten, tastet sich Ben Neven immer weiter vor, in seine Schuld, seine Verstrickung. Wobei mir wichtig war, Adrian als Gegenpart zu etablieren. In „Am roten Strand“ war er noch ein Schatten, doch das durfte er nicht bleiben, sondern er musste eine ganz starke, nachhallende Stimme bekommen.
In fast allen deinen Büchern rücken die Kriminalfälle in den Hintergrund, doch bei „Einer von den Guten“ fehlt er erstmals komplett. Ist das jetzt ein Schreiben ohne Sicherheitsnetz?
Wagner: Je mehr das Sicherheitsnetz weg ist, desto zufriedener bin ich mit der Situation. Ich habe nie das Gefühl gehabt, mir Sicherheitsnetze knüpfen zu wollen, und mit den Jahren ist mir darüber hinaus immer bewusster geworden, dass ich am allerliebsten aktivisch ohne Sicherheitsnetz schreiben möchte. Und im besten Fall auch mit enormer Fallhöhe. In gewisser Weise habe ich die Figur mit der größtmöglichen Fallhöhe überhaupt gesucht.
Wer „Einer von den Guten“ von Jan Costin Wagner mag, könnte sich auch für „Nach der Sonne“ von Jonas Eika interessieren.