Brutale Sinnlichkeit
In den so sprachgewaltigen Novellen aus „Nach der Sonne“ von Jonas Eika geht es um die Löcher, die der Kapitalismus in die Protagonist*innen gerissen hat – und um Versuche, sie zu stopfen.
Als er im letzten Jahr mit dem Literaturpreis des Nordischen Rats ausgezeichnet wird, nutzt der Däne Jonas Eika seine Dankesrede, um vor Ministerpräsidentin Mette Frederiksen den staatlichen Rassismus seines Heimatlandes anzuprangern. Eine ähnliche Sprengkraft trägt auch das Debüt des 29-Jährigen in sich, das jetzt in deutscher Übersetzung erschienen ist: In den Novellen von „Nach der Sonne“ geht es um die Löcher, die der Kapitalismus in Eikas Protagonist*innen gerissen hat – und um die Versuche, sie zu stopfen. Da ist ein greises Ehepaar, das den Krebstod seiner beiden Töchter verarbeiten will und in der Wüste Nevadas strandet, um auf die Ankunft von Außerirdischen zu warten.
Da ist ein IT-Berater in Kopenhagen, der feststellt, dass die Bank, für die er arbeitet, in einen Krater versunken ist. Vor allem aber ist da der zweiteilige Text „Bad Mexican Dog“, in dem Jonas Eika mit brutaler Sinnlichkeit von den blutjungen Beachboys am Strand von Cancún erzählt, die den reichen Touristen die Sonnenschirme hinterhertragen, sie eincremen und massieren und ihnen kühle Getränke reichen. Angetrieben von der Solidarität untereinander, vom Begehren und der Sehnsucht nach Liebe erschaffen die Jungen eine Parallelwelt, die sich nach und nach vor die übersättigte, fettleibige und gefühlskalte Wirklichkeit schiebt. Ganz sicher wird Jonas Eika mit „Nach der Sonne“ in ein paar Monaten auch auf unserer Liste mit den besten Büchern 2020 auftauchen.