JPEGMAFIAs neues Album „I lay down my Life for you“: Härter und weicher als je zuvor
Er ist der kreativste Rapper/Produzent des US-HipHop. Aber kann JPEGMAFIA auch auf seinem fünften Album noch überraschen? Und können wir ihm seine Nähe zu Kanye verzeihen?
JPEGMAFIA ist frei. Jahrelang hat er sich mit Labels herumgeschlagen, musste sein letztes Soloalbum „LP!“ gar in zwei Fassungen veröffentlichen, weil es Stress aufgrund von Samples gab. Zwar hat er bereits das Kollabo-Projekt „Scaring the Hoes“ mit Danny Brown auf seinem eigenen Label veröffentlicht, doch sein fünftes Album „I lay down my Life for you“ ist nun das erste Solowerk, das wirklich unabhängig ist – für einen Künstler, der nie daran gedacht hat, das zu tun, was andere von ihm erwarten, der als Rapper, aber vor allem als Produzent seit Jahren aufregender klingt als 90 Prozent des US-HipHop. Bleibt trotzdem die Frage: Was macht einer wie JPEGMAFIA, wenn er von allen Zwängen befreit ist?
Auf dem Track „Either on or off the Drugs“ bietet er selbst einen kleinen Überblick über die vier Soloplatten unter seinem Pseudonym, die er seit „Black Ben Carson“ von 2016 veröffentlicht hat: „The first one was good with the beats/The second one put me up in the deep/The third one was sick, no disease/The fourth I had to rush it to complete“. Für „I lay down my Life for you“ hat sich Peggy, wie ihn Fans liebevoll nennen, mehr Zeit lassen können – und den Termin tatsächlich mehrmals aufgeschoben, nur um das Album nun doch sehr abrupt rauszuhauen, gerade noch rechtzeitig, kurz bevor es auf Tour geht.
Metalgitarre und Death-Grips-Referenzen
Viel wussten Fans im Voraus nicht über das Album, nur zwei Singles hatte JPEGMAFIA geteilt, plus einen Albumtrailer. Die Vorabsingles, das um ein Zitat aus der Serie „Succession“ strukturierte „Don’t rely on other Men“ und das aggressive „Sin Miedo“, schienen dabei in dieselbe Richtung zu deuten: noisige, teilweise industriell anmutende Beats, wie sie Peggy über die Jahre immer wieder verwendet hat, doch mit einem neuen Fokus auf die E-Gitarre. Auch auf die hat JPEG schon vor Jahren gern zurückgegriffen, meist aber als Element eines Beats – hier ist sie plötzlich Soloinstrument.
Je nachdem, wie man zu Metal steht, hat das neugierig gemacht oder eher Zweifel geweckt, was das kommende Album anging. Und tatsächlich bleibt die E-Gitarre ein zentrales Element auf „I lay down my Life for you“: „Vulgar Display of Power“ etwa könnte fast Nu-Metal sein – die gute Art natürlich, eher die frühen Rage Against The Machine als Limp Bizkit. Doch JPEGMAFIA wäre nicht JPEGMAFIA, wenn es dabei bleiben würde. Und so erweist sich seine fünfte Platte als seine vielleicht extremste: Einerseits klingt er konfrontativer, an anderen Stellen aber sanfter und verwundbarer als je zuvor.
Diese Zweiteilung ist umso sichtbarer, weil sie auch explizit in der Struktur des Albums angelegt ist. Los geht’s mit einem klassischen JPEGMAFIA-Song mit klassischem JPEGMAFIA-Titel: „I scream this in the Mirror before I interact with anyone“ ist so aggressiv, wie der Titel verspricht, inklusive kreischender Gitarre und Punchlines über Heuchler:innen und Weicheier. Der dritte Track „I’ll be right there“ ist dagegen fast old school, mit Soulsample und der Peggy-Version eines Boom-Bap-Beats. Doch schwelgerische Streicher, die sich im Weiteren als weiteres zentrales Element der Platte erweisen, geben dem Ganzen einen Hauch von alter Hollywood-Romanze.
„I lay down my Life for you“: Zwei Extreme
Brachiale Metal-Aggression und an Kitsch grenzende Orchesterklänge: Zwei Grundströmungen, die sich durch „I lay down my Life for you“ ziehen, sich auf der Albumversion von „Don’t rely on other Men“ aber auf überraschend schöne Art vermischen, wenn JPEGMAFIA das bekannte Gitarrensolo mit Chor und Streicherflächen hinterlegt. Es sollte nicht funktionieren, tut es aber irgendwie trotzdem – wie so oft bei JPEGMAFIA.
Das Herz des Albums ist „Exmilitary“, mit fünf Minuten einer der längsten Tracks aus Peggys Diskografie, der wie zufällig seinen Titel mit dem ersten Mixtape von Death Grips teilt, jenem experimentellen HipHop-Trio, mit dem er sehr zu seinem Leidwesen schon immer gern verglichen wird. Gut möglich, dass die Anspielung Absicht ist, immerhin ist „I lay down my Life for you“ stellenweise so nah am Death-Grips-Sound wie nie zuvor. Andererseits war JPEGMAFIA tatsächlich beim Militär und hat sein zweites Album nicht ohne Grund „Veteran“ genannt. So oder so fühlt sich „Exmilitary“ an wie ein Statement, auch, weil er hier „After Laughter“ von Wendy Rene sampelt, der seit dem Wu-Tang-Track „Tearz“ eine feste Größe im HipHop ist. Peggys Version ist zumindest anfangs nur ungleich komplexer als der Beat, den RZA damals gebaut hat, bevor E-Gitarren-Akkorde, Streicher und glitchige Synths dazukommen. „Exmilitary“ ist ein Mikrokosmos des Albums – und eine Bilanz von JPEGMAFIAs Schaffen an sich. „I heard you got dirt on me“, droht der Rapper gleich am Anfang. „My country encouraged me/I just bought a dirty piece“. Eine martialische Haltung, die auch sein neues Alias – und der gleichnamige Track – „Jihad Joe“ aufrecht erhalten.
Der Kanye-Faktor
Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um über Politik zu sprechen. Und damit auch über den Elefanten im Raum: Kanye West. Denn JPEGMAFIA hat seine Fans zuletzt nicht nur mit verschobenen VÖ-Terminen irritiert, sondern vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Ye. So hat sich Peggy mit Kanye ablichten lassen und mehrere Tracks auf dessen letztem Album „Vultures 1“ produziert, auch für den zweiten Teil soll er an Bord geblieben sein. Und das, wo Kanye seit Jahren Antisemitismus, rechten Populismus und dergleichen mehr absondert. Für einen Rapper wie JPEGMAFIA, der sich eigentlich immer explizit links positioniert und ein Mixtape einst „Communist Slow Jams“ genannt hat, sollte das ein Problem darstellen – tut es aber nicht. Peggys Position: Er sei schon immer Kanye-Fan gewesen. Die Kunst toppt hier offenbar eindeutig die Politik.
Kann man machen – JPEGMAFIA ist nicht der einzige, der nach wie vor gerne mit Kanye arbeitet. Von Ty Dolla $ign über Travis Scott bis zu Timbaland und James Blake finden sich viele Namen in den Produktionsnotizen zu „Vultures 1“. Doch die wenigsten von ihnen sind in der Vergangenheit so offen und radikal politisch gewesen wie Peggy. Ob seine Arbeit mit Ye Grund genug ist, auch mit JPEGs Musik zu brechen, ist eine Frage, die wohl alle Fans für sich selbst beantworten müssen. Zumindest JPEGMAFIAs politische Haltung, seine Selbstgerechtigkeit, seine Angriffe auf Heuchelei jeder Art wirkt in diesem Licht sehr fadenscheinig. „I hate when these bitches be begging your boy for some cash, then turn around and say ,Eat the rich!‘“, rappt er etwa im Opener, attackiert Nepo Babies und immer wieder Weiße, die sich Schwarze Kultur aneignen. Nur dass ihm diese Prinzipien wichtiger sind als die Arbeit mit seinem Idol, können wir nicht mehr glauben.
JPEGMAFIA: Am Ende doch verwundbar
Vielleicht spürt der Rapper auch selbst, dass dieser Aspekt seiner Persona nicht mehr zieht wie früher. Denn die letzten vier Tracks gehen in eine deutlich sanftere Richtung. Ab „Either on or off the Drugs“ bleibt die E-Gitarre verschwunden, ersetzt durch noch mehr Streicher, Chöre und sogar gezupfte Akustikgitarre. Der Beat von „Loop it and leave it“ klingt zum ersten Mal fast so, als hätte JPEGMAFIA genau das getan: einfach nur einen netten Loop gefunden und ihn sonst kaum behandelt. Und am Anfang von „Don’t put anything on the Bible“ bekommt Buzzy Lee, Steven Spielbergs Tochter, ganze zwei Minuten Zeit für einen gesungenen Part, den Fans schon aus dem Albumtrailer kennen. Auch mit ihr hat JPEGMAFIA schon gearbeitet, doch dass einer seiner Songs zur Hälfte aus verträumtem Indiefolk besteht, ist neu.
Auch textlich gibt sich der Musiker zum Ende des Albums überraschend verwundbar, wenn nicht sogar versöhnlich. Der Höhepunkt ist der Schlusstrack „I recovered from this“, wieder mit Streichern und Klampfe, auf dem Peggy vor wortlosem Gesang hart mit sich selbst ins Gericht geht: „My bitch never got taken from me, I lost her myself/My bitch never got comfort from me, I needed too much help“, rappt er. „Everyone that I ever dated deserves better.“ Vielleicht zeichnet sich hier tatsächlich ein neuer JPEGMAFIA ab. Zwar ist er immer noch „terminally online“, wie er an anderer Stelle betont. Aber zugleich scheint es ihn hinauszuziehen in die Natur, weg von den Bildschirmen und den Flame Wars – wenn er nicht gerade wütender klingt als je zuvor. Und so hat er es auch mit seinem fünften Album wieder geschafft, zu überraschen. Dass JPEGMAFIA immer noch ein neues Extrem finden würde, war klar – aber dass er gleich beide Extreme gleichzeitig mitnimmt, macht wieder einmal klar, dass er uns allen noch immer zwei Schritte voraus ist.
Hier gibt es das ganze Album zu hören: