Kritisch und hoffnungsvoll: Die Pop-Alben der Woche
Drei Zyniker kritisieren gesellschaftliche Missstände, während eine junge Band drauf pfeift – mit gemischten Ergebnissen: Die Pop-Alben der Woche.
Letzte Woche drehte sich bei den Alben der Woche noch alles um Gitarren – wuchtig, dramatisch oder schrammelig – dieses Mal geht es distinguierter zu. Mit Jarvis Cocker und Jonathan Bree kehren zwei mehr oder minder alte Hasen des gepflegten Pop-Zynismus zurück, L.A. Salami prophezeit mit sacht psychedelischem Singer/Songwriter eine Revolution, und The Aces pfeifen auf die Prophezeiung und gehen das Ganze lieber direkt an – mit hymnischem Indierock. Die Pop-Alben der Woche.
JARV IS: Beyond the Pale
„Beyond the Pale“ schreibt zwar nicht die Pulp-Geschichte fort, doch unter dem Namen JARV IS hat Cocker wieder eine Band um sich geschart – und mit seiner unverkennbar tiefen Stimme säuselt, flüstert, sprechsingt und croont er sich wie in alten Zeiten durch Songs, die jederzeit die Richtung wechseln können und dabei doch so wundersam eingängig sind.
Ursprünglich als reines Liveprojekt geplant, hat sich das Sextett auf Drängen von Produzent Geoff Barrow (Portishead) schließlich doch ins Studio begeben, und so liegt nun ein Debütalbum vor, auf dem es um den Brexit, um Vergangenheitsverklärung und um Fastfood geht, das vor berühmten Bauwerken verzehrt wird. „Children of the Echo“ beweist, dass Cocker Technologiekritik üben kann, ohne wie ein Boomer zu klingen.
Jonathan Bree: After the Curtains close
Während in diesen Corona-Tagen viele Musiker*innen ihre Songs über Einsamkeit und das Vermissen als prophetische Meisterleistung zu vermarkten versuchen, hat Jonathan Bree den weitaus begründeteren Anspruch, als Seher zu gelten: Mit der Veröffentlichung seines dritten Albums „Sleepwalking“ im Jahr 2018 entschied sich der Neuseeländer, sein Gesicht fortan hinter einer Spandex-Maske zu verbergen.
Ein Problem hat Bree heute dennoch, denn auf jenem Album befand sich auch „You’re so cool“, und um es kurz zu machen: Keiner der zwölf neuen Songs reicht an die Kammerpop-Übersingle heran. Dafür wagt er auf „After the Curtains close“ mehr und legt seine bisher beste Albumleistung vor: „Waiting for the Moment“ betrauert das Ende eine Beziehung, ruft aber in bester 80er-Popmanier zur Betäubung des Schmerzes mit Dating-Apps auf. Und wenn bei „No Reminders“ Brees Baritonstimme dem Hörer so nah wie nie zuvor kommt, ist ausnahmsweise auch mal der Sicherheitsabstand scheißegal.
L.A. Salami: The Cause of Doubt & a Reason to have Faith
Was, wenn Dylan ein Kind der Achtziger wäre – und noch dazu britisch und Schwarz? Wahrscheinlich würde er in seinen Liedern eher Kanye West erwähnen als die Stones. Sein Sound wäre abstrakter und fragmentierter, zu Gitarre, Klavier und Mundharmonika würde sich auch mal eine Drum Machine gesellen. Manchmal würde er eher rappen als singen. Kurz gesagt: Er würde klingen wie Lookman Adekunle Salami.
Auf seiner dritten Platte ist L.A. Salami weniger der Geschichtenerzähler von früher als einer, der verzweifelt versucht, in Zeiten ständiger Reizüberflutung seine Gedanken zu ordnen. Zwischen den Songs rauscht das Radio, dazu spricht-singt Salami über Instagram, Rassismus, Kapitalismus und Gott. Und fasst so das Gefühl, heute am Leben zu sein, weit bündiger zusammen als ein gewisser Nobelpreisträger: „I hear talk of revolution/Between the memes and the noise pollution.”
The Aces: Under my Influence
Auch auf ihrem zweiten Album bedienen The Aces sich bei 80s-Disco und Funk. Die direkt in die Beine zuckenden Basslinien von McKenna Petty sind dann auch ein durchgängiges Highlight der Platte. So tanzbar und teilweise ohrwurmtauglich einzelne Songs jedoch sein mögen, das immer gleichförmige Muster ist schnell erkannt und bald erschöpft: Strophe, Refrain, Strophe, eine Bridge. Cristal Ramirez singt ausnahmslos über mal glückliche („Zillionaire“), mal unglückliche Liebe („Cruel“).
Dass die Objekte ihrer Begierde weiblich sind und die Ramirez-Schwestern ihre Queerness damit erstmals explizit machen („Kelly“), hätte eine noch immer unterrepräsentierte Perspektive in den Mainstream-Pop bringen können, schlägt sich thematisch aber nirgendwo nieder. Immerhin sind The Aces sich der eigenen Formelhaftigkeit bewusst: „Not enough“ enthält die treffende Zeile „We wrote this song about a thousand times“. Langsam wird es Zeit, sich vom alten Lied zu verabschieden.