Zwei Weirdos und ein Hallelujah: Die Alben der Woche
Die Redaktion in der Zwickmühle: Wie sollen Fans von Alex The Astronaut bei Matmos oder J. Zunz andocken? Die Alben der Woche.
Ein bisschen Leid tut es uns um die Leser*innenschaft, die diese Woche die Alben der Woche hört: Fans der Singer/Songwriterin Alex The Astronaut und ihres berührenden Storytellings werden wohl nur wenig mit dem Experimentalgefrickel des kalifornischen Duos Matmos oder den Soundskulpturen von Lorena Quintanillas Soloprojekt J. Zunz anfangen können. Die wiederum werden wohl kaum am poppigen Sound der jungen Australierin gefallen finden – so gefällig sie auch sein mag.
Sei’s drum: Wir sind diese Woche nicht darauf aus, zielgruppenorientiert zu arbeiten. Wobei: Irgendwo in den Untiefen von Matmos’ dreistündigem Superkonzeptalbum „The consuming Flame“ gibt es vielleicht auch einen kurzen Singer/Songwriter-Lichtpunkt. So ganz genau lässt sich das im Nachhinein schwer reproduzieren. Und irgendwie erzählt „Hibiscus“, das zweite Album von J. Zunz, ja auch eine Geschichte: Die der Musikerin selbst. Die Alben der Woche.
Alex The Astronaut: The Theory of absolutely Nothing
In „San Francisco“, dem letzten Song auf ihrem Debütalbum, beschreibt sich Alex The Astronaut als reisende Beobachterin, die auf die Welt mit ihren Menschen hinabblickt und vor allem ein Universum aus Geschichten sieht. Auf „The Theory of absolutely Nothing“ erzählt sie einige davon – zumeist autobiographisch, aber auch Fiktionen über eine Teenager-Schwangerschaft („Lost“) oder die Frau eines gewalttätigen Manns („I like to dance“) finden Platz.
Das klappt am besten, wenn Alex so spezifisch wird, dass einem ihre Figuren zum Greifen nahe scheinen. Zwar neigt die Australierin dazu, ihre Folksongs mit zu vielen Instrumenten zu überfrachten, und untermalt ihre konkreten Texte mit oft recht beliebigen Melodien. Spurlos vorbei gehen die Lieder trotzdem nicht – dazu kommen sie einem zu nahe.
Matmos: The consuming Flame: Open Exercises in Group Form
Diesmal lautet das Konzept des Experimental-Duos Matmos aus Kalifornien: 99 Kollaborateur*innen einladen, Daniel Lopatin oder Mitglieder von Yo La Tengo etwa, und ihnen keinerlei Vorgaben beim Gestalten der gemeinsam erarbeiteten Tracks geben, als das Ergebnis konstant bei 99bpm zu halten. Was wie ein prätentiöses Gimmick klingt ist letztlich ein genialer Move.
Das insgesamt dreistündige Monsterwerk wird so schlichtweg über den konstanten Flow zugänglich, weswegen alle Aspekte jenseits des Tempos freies Geleit haben. Fiepen, Knattern, Rödeln, Ambient-Geriesel, verhackstückte Jingles und Field Recordings? Immer her damit. „The consuming Flame“ klingt, als würde man das Internet hören. Auch da sind drei Stunden ja im Nu vorbei – und manchmal berührender als erwartet.
J. Zunz: Hibiscus
Nach fünf Alben als eine Hälfte des Shoegaze/Krautrock-Duos Lorelle Meets The Obsolete hat sich Lorena Quintanilla 2017 mit ihrem Soloprojekt J. Zunz und dem Debütalbum „Silente“ neu erfunden – weg vom raumfüllenden Shoegaze-Sound, hin zu brüchigen, minimalistischen Elektronik-Experimenten. In dieser neugefundenen Selbstständigkeit ist nun auch „Hibiscus“ entstanden: ein Album, mit dem sie eine persönliche Krise ebenso wie die politischen Geschehnisse der letzten Jahre verarbeitet.
Umso beeindruckender ist es, wie bemessen, bedächtig und zugleich kraftvoll sie auf der ganzen Länge des Zweitlings klingt. Quintanillas fesselnden Stücke lassen diesmal die Brüche außen vor und vertiefen ihren Klangkosmos aus tastender Minimal Music und experimenteller Stör-Elektronik. Sie entfalten sich nach und nach, einer ganz und gar eigenen Vision zufolge. Ganz so, als schüfe sich die Künstlerin Stück für Stück in einem eigens geschaffenen Schutzraum aus sich selbst heraus von Neuem.