Plattenchat November 2022: Mit Mount Kimbie und mehr Von Matthias Jordan // 31. Oktober 2022
Auflegen oder aufregen? Platten, die man im November hören muss – oder eben nicht.
Einmal im Monat diskutieren wir hier über sechs aktuelle Platten. In diesem Monat verlieben wir uns in Mount Kimbie , feiern die neue Richtung von Warhaus und können uns sogar mit dem Dub von Dumbo Tracks arrangieren. Wie immer mit Singles zum Reinhören.
Und das sind unsere Chatter:innen im November 2022:
CARSTEN SCHRADER feiert eine Party mit seinen Energiezulieferern, dem liebsten Supermarktboy und dem Team vom Coronatestzentrum. Und er ist sich sicher: Wenn sich alle auf Mount Kimbie einigen, kann der Winter gar nicht so schlimm werden.
FELIX EISENREICH hört jetzt heimlich Dub und zieht sich zu Warhaus den gepolsterten 007-Anzug an, um den gemeinsamen Moshpit mit Danny Brown und Slowthai auf dem Mount-Kimbie-Konzert zu überleben.
MATTHIAS JORDAN hört Mount Kimbie in Dauerschleife und hat deshalb momentan weder Zeit für Dumbo Tracks noch für Warhaus . Nur für ein bisschen Pokémon ist noch Platz – er ist übrigens Team Glumanda.
GASTHÖRERIN: ANNA SHAMOEVI ist ambitionierte Journalismus-Studentin und dazu mit Leib und Seele eine Indierock- Verehrerin. Zwar ist die Hamburgerin erst 23 Jahre jung, doch hindert sie das nicht daran, über musikalische Referenzen der vergangenen Jahrzehnte leidenschaftlich zu schreiben. Was sie hier im Chat mit großer Geschmackssicherheit beweist.
Dumbo Tracks: Dumbo Tracks
Anna: Ein raffinierter Zusammenklang experimenteller Töne, die mich sofort an MGMT mit einem Hauch von 80er-Melancholie erinnern. Durch niedrige BPM-Werte löst der Sound eine unglaubliche Entspannung aus. Das ideale Album, um es nachts im Auto zu hören, auf dem Heimweg von einer Party.
Carsten: Meinen Heimweg bestreite ich mit „Bordstein in der Nacht“. Gastsänger Julian Knoth von Die Nerven klingt hier wie Frank Spilker. Eigentlich mag ich Dub nicht – in der Bearbeitung von Jan Philipp Janzen aber schon. Einzige Ausnahme: „Total Eclipse of my Brain“. Da ist nur der Titel gut.
Matthias: Witzig, wie Janzen quasi nebenbei ein Who-is-who der deutschen Elektroszene versammelt: Markus Acher, Roosevelt und DJ Koze sind wunderbar unaufgeregt dabei. Stimme Carsten aber zu, dass die Tracks ohne Gastsänger schnell in den Hintergrund rutschen.
Felix: Meine Dub-Assoziation: 7:54 Uhr, irgendein Elektro-Festival, und vor einer kleinen Bühne reinigen ein paar barfuß Tanzende auf Ketamin ihre Chakren. Doch das Album überrascht mich: Mit „Information Overload“ kapsel ich mich ab – und schalte Handy und Laptop für immer aus.
Frankie Cosmos: Inner World Peace
Anna: Dieser Sound hat mir lange gefehlt: verspielter Indierock mit einer Prise Alternative aus den 90ern. Das ist wohl der New Yorker Spirit, der hier zum Vorschein kommt. Ich bin begeistert.
Matthias: Ich will dieses Album mögen, schon weil Katie von Schleicher es produziert hat. Und Greta Klines Gesang ist ungemein sympathisch, die Vibes positiv. Irgendwie klingen aber alle Songs gleich – oder geht es nur mir so?
Carsten: Verstehe ich, war bei Frankie Cosmos auch immer mein Problem. Egal, momentan beruhigt mich ihr LoFi-Pop einfach. Und auf dem fünften Album gibt es ja sogar ein bisschen Abwechslung: Diese Psych-Einschübe bei „F.O.O.F.“ etwa sind neu.
Felix: Mir geht’s da ähnlich. Ich finde das Album tatsächlich sehr nett. Bloß ist „sehr nett“ wohl kaum eine gute Kategorie für diese Runde – oder? Trotzdem: Greta Klines Songwriting, das charmant die Perspektiven wechselt, gefällt mir.
Mount Kimbie: Die Cuts | City Planning
Anna: Die beiden haben es geschafft, mit Sounds, Beats und Effekten ein faszinierendes Storytelling auszugestalten. Durch nostalgische Töne, tiefe Beats und Rap folge ich ihnen auf eine experimentelle Reise, die Trauer ausdrückt, aber mich genauso bestärkt.
Carsten: Kai Campos und Dom Maker machen zwei Soloalben – und auf Shuffle ist es ein spektakuläres Mount-Kimbie-Album, das sogar an „Crooks & Lovers“ heranreicht. Vermisse hier nicht mal meinen geliebten Archy Marshall, auch wenn „Blue Train Lines“ natürlich auf alle Zeiten ihr bester Song bleiben wird.
Felix: Das ist mal ein Doppel-Wumms! Mit Loops, Samples, Beatwechseln und überraschenden Gästen um sich zu schmeißen, und dabei trotzdem konsistente Songs zu produzieren, ist schon eine Meisterleistung! Spätestens, als auf „In your Eyes“ plötzlich Danny Browns engelsgleiche Quak-Stimme eingesetzt hat, war ich im Team Dom Maker!
Matthias: „Welche Hälfte magst du lieber?“ wird für Fans sicherlich bald eine Standardfrage werden, die ähnlich aufschlussreich ist wie die nach dem Starter-Pokémon. Auch ich muss bei diesem gewagten Album knapp Makers „Die Cuts“ den Vorzug geben – doch Campos’ abstrakte zweite Hälfte ist fast ebenso brillant.
Okay Kaya: Sap
Anna: Bei diesem Album höre ich ganz klar, wie komplex die Simplizität doch ist. Da ist diese gelassene und softe Stimme, die in mir den Wunsch weckt, langsam zu tanzen. Gleichzeitig höre ich heraus, wie durchdacht hier jeder Ton ist.
Felix: Ein Album wie eine Traumreise. Okay Kaya hat ein Album über das (Unter-)Bewusstsein geschrieben – und da wäre es schon eigenartig, wenn sich bereits beim ersten Hör-Durchgang alles erschließen lässt. Definitiv ein Grower!
Carsten: Der Sound des Vorgängers „Watch the Liquid pour itself“ war mir näher, trotzdem werde ich mich mit dieser Platte noch lange beschäftigen. Großartig allein, wie die in New York lebende Norwegerin mit „Jolene from her own Perspective“ auf Dolly Parton reagiert, die in dem Klassiker ja jammert und fleht, ihr möge doch bitte nicht der Typ ausgespannt werden.
Matthias: Die Texte sind auf jeden Fall eine große Stärke des Albums, die anderen sind die minimalistische, aber komplexe Elektronik und die Momente, in denen Okay Kaya mit sich selbst harmonisiert. Da kann man auch einen Songtitel wie „Weltschmerz“ verzeihen.
Press Club: Endless Motion
Anna: Was für eine energiereiche Rockband! Ihr Sound und die einzigartige, raue und lässige Stimme von Frontfrau Natalie Forster versetzen mich in die frühen 2000er zurück, zu Bands wie The Killers und Pixies.
Felix: Mich versetzt die Band auch in frühere Zeiten zurück – bloß waren das keine guten: 17 Jahre alt, Hurricane-Festival, und die Pickel werden mit Dosenbier genährt. Die Power-Chords des Albums sind förmlich durch mich durchgerauscht, ohne auch nur einen Hauch zu hinterlassen.
Matthias: Ach komm, ganz so schlimm ist es nun nicht. Ist absolut auch nicht (mehr) meine Musik, aber es gibt ein paar Lichtblicke – darunter die bereits erwähnte Sängerin und die Momente, wenn Press Club ein bisschen mehr nach Postpunk als nach Hurricane klingen.
Carsten: Ich komplettiere das Grantler-Trio und bin etwas näher bei Matthias. Die Australier haben ihr drittes Album immerhin selbst produziert, und die Single „Eugene“ finde ich etwa ganz okay. Aber echt jetzt, Felix, Dosenbier macht Pickel?
Warhaus: Ha Ha Heartbreak
Anna: So viel Emotionen und Verletzlichkeit auch in den Texten stecken, fühle ich mich beim Hören dieses Albums doch immens behaglich. Das liegt wohl an Maarten Devolderes sanfter Stimme und der perfekt abgestimmten Instrumentierung.
Matthias: Dass Devoldere diese Songs ursprünglich als minimalistische Singer/Songwriter-Tracks geplant hatte, ist nicht mehr herauszuhören. Stattdessen gibt es großgestige Bond-Vibes – gleich das dreiminütige Klavier-Outro im Opener ist ein Wagnis, das sich auszahlt.
Felix: Solche großen Arrangements sind absolut mein Guilty-Pleasure: Trotzdem bleibe ich aktuell bei Kaffee und Kuchen statt Martini und Olive – und lasse „When I am with you“ in Dauerschleifen laufen.
Carsten: Kommt, wir hauen mal die großen Referenzen raus: Leonard Cohen, Father John Misty … War ja nie ein Balthazar-Ultra, aber was Devoldere hier auf seinem dritten Soloalbum vollbringt, ist schon beachtlich. Dann mache ich mich jetzt also mal auf die Suche nach einem Anlass für so viel Schmachterei.