Roskilde 2023: Endlich Kendrick
Nachdem er schon 2021 auftreten sollte, eröffnet Kendrick Lamar das Roskilde Festival 2023. Doch die Show ist überraschend sperrig.
Wie schon letztes Jahr berichten wir täglich vom Roskilde Festival. Am 28. Juni ist die 2023-Ausgabe gestartet – und es ging direkt am Mittwoch los mit dem vielleicht wichtigsten Headliner von allen. Nicht, dass Kendrick Lamar unbedingt mehr Fans hätte als all die anderen Acts, die in diesem Jahr auf der orangenen Hauptbühne auftreten. Aber aus verschiedenen Gründen fühlt es sich bei ihm irgendwie bedeutsamer an: Erstens sollte Kendrick ursprünglich schon 2021 auftreten, doch in dem Jahr ist das Festival aufgrund der Pandemie ausgefallen. 2022, als viele fürs Vorjahr geplante Acts ihren Auftritt nachgeholt haben, war er nicht dabei –Fans haben also drei Jahre gewartet. Zweitens war Kendrick schon seit 2015 nicht mehr beim Roskilde dabei. Und drittens ist er wohl nach wie vor, einem breiten Konsens zufolge, der beste Rapper der Welt.
Kein Wunder also, dass die Fans schon im Vorfeld Stimmung machen. Ich sehe nicht wenige Menschen mit T-Shirts von seiner „Big Steppers Tour“, die er im letzten Jahr angetreten ist und die noch immer andauert. Und schon auf dem Weg aufs Gelände fährt ein Van vorbei, die Insassen rappen bei offenen Türen „Alright“ auf die Straße. Als Kendrick Lamar dann um 22 Uhr die Orange Stage betritt, ist gefühlt das ganze Festival da. Und trotzdem sind nach seinem Auftritt die Reaktionen nicht nur positiv.
Er will nicht unser Retter sein
Klar, die Songs selbst sind über jeden Zweifel erhaben. Kendrick weiß, warum die Fans hier sind, und hat sich nicht nur auf sein letztes Album konzentriert, obwohl das insgesamt dominiert, sondern baut Hits aus all seinen Äras ein. Die Fans danken es ihm und gehen bei „N95“ von der letzten Platte, „Bitch, don’t kill my Vibe“, „Alright“ und „Loyalty“ gleichermaßen ab. Und doch wird im Laufe der Show klar, dass der letzte Funke, der sie zu einem unvergesslichen Highlight machen könnte, irgendwie nicht überspringen will. Das mag daran liegen, dass Kendrick quasi allein auf der Bühne ist, nur unterstützt von einer Gruppe Performer:innen mit seinem Gesicht nachempfundenen Masken, die eine abstrakte Performance aufführen.
Einerseits ist es beeindruckend, wie es dem Rapper mühelos gelingt, auch ohne großes Bühnenspektakel mühelos die Aufmerksamkeit des Publikums zu halten. Andererseits macht er es sich damit vielleicht unnötig schwer, auch seine Crowdwork ist, wenn sie kommt, eher halbherzig. Insgesamt bleibt Kendrick seltsam unnahbar, was allerdings durchaus Absicht sein kann: Immerhin entscheidet er sich, wie schon beim Primavera Festival, sein Set mit „Savior“ zu beenden, einem eher melancholischen Track, der seinen Unwillen thematisiert, der Retter einer Generation oder gar einer ganzen Community zu sein. Ein zentraler Track auf seinem letzten Album – aber nicht gerade ein Song, zu dem es sich gut ausrasten lässt. Und so endet das Konzert auf einer zweideutigen Note. Die Botschaft: Kendrick schuldet uns nichts. Wir dürfen mit ihm feiern, aber letztlich ist es seine Show.
Fever Ray: Das Enigma bleibt
Damit habe ich vorgegriffen, denn natürlich war Kendricks Konzert lange nicht das erste an diesem Tag. Für mich geht es um 18 Uhr los mit Fever Ray, direkt nach meiner Ankunft auf dem Gelände. Anders als Kendrick Lamar würde Karin Dreijer niemals in Sweatpants auf die Bühne kommen, denn Fever Ray ist seit jeher ein Gesamtkunstwerk. Entsprechend ausgefallen sind die Kostüme, mit denen Dreijer, zwei Background-Sänger:innen und zwei Musiker:innen auftreten: Dreijer selbst im weißen Anzug und mit geschminkten Altersfalten im Gesicht, die anderen wahlweise im mit astrologischen Zeichen bemalten Bodysuit oder mit einem riesigen Hut auf dem Kopf. Der Entscheidung, eine Enigma zu sein, bleibt Dreijer treu, sagt bis auf ein, zwei „Thank you“s gar nichts. Aber die Musik spricht für sich: Mal schwebt der emotionale Gesang über die Menge hinweg, dann wieder brechen die Rhythmen durch und das Zelt wird kurzzeitig zum Dancefloor. Obwohl eigentlich drei Leute ins Mikro singen, schaffen es die Soundleute irgendwie, dass Dreijers unverkennbare Stimme immer zu hören ist.
Armand Hammer: HipHop handgemacht
Wer HipHop mag, aber nicht Kendrick Lamar – soll es ja auch geben –, für den gibt es an diesem Tag auch ein Alternativprogramm. Armand Hammer, das New Yorker Duo aus Elucid und Billy Woods, hat deutlich weniger Budget als der Star aus Compton. Das verleiht ihrer Show einen hemdsärmeligen Charme: Elucid spielt die Beats oft selbst vom Laptop ab, und in eine längere Rappause hinein erklärt Woods, dass hier gerade gesungen würde, „wenn sie uns mehr bezahlen würden“. Wenn der eine Rapper dran ist, setzt sich der andere oft einfach in den Hintergrund. Der ganze Vibe geht in dieselbe Richtung: Hier geht es nur um die Bars, alle überflüssigen Ablenkungen fehlen. Zum Glück sind Armand Hammer Profis, und die Energie bleibt trotz des Minimalismus’ hoch. Im Anschluss geht es direkt weiter mit einer Solo-Show von Billy Woods. Da muss ich allerdings schon zur Orange Stage hinüber, weshalb ich sie leider verpasse.
Im Vorfeld habe ich mich mit einer Kollegin darüber unterhalten, dass die großen Rockshows auf dem Roskilde weniger werden: HipHop und Pop scheinen noch stärker im Zentrum zu stehen als zuvor. In diesem Jahr gibt es vor allem zwei Headliner, die der klassischen Bandformation treu geblieben sind. Einer spielt am Mittwoch um 23.45 Uhr: Queens Of The Stone Age, eine der letzten Bastionen des Rock-Mainstream. Und die Band weiß, wie Festival geht: Sie beginnen das Set mit ihrem größten Hit „No one knows“, Josh Homme bedankt sich für jeden Applaus. Auch für Nicht-Fans gilt: Manchmal kann die ungezügelte Energie einer Band, die Bock hat, ganz geil sein. Zumindest für die ersten zwanzig Minuten – so lange bleibe ich.