Mord und Machtkampf in „Those about to die“: Die spinnen, die Römer!
In der neuen Serie zeigt Roland Emmerich bei Amazon Prime Sex and Crime im Römischen Reich – wir sagen euch, ob ihr das Spektakel bingewatchen müsst.
Bei Amazon Prime läuft jetzt die Sandalenfilm-Serie „Those about to die“ (auf Deutsch: „Die Todgeweihten“) von Roland Emmerich. Der Zehnteiler handelt vom Kampf um Macht, Ruhm und Reichtum im von brutalen Machtkämpfen geprägten Rom im Jahr 79, es gibt Gladiatorkämpfe, Wagenrennen, Mord und Totschlag und Sex en masse. Ist das Amazons Versuch, ein zweites „Game of Thrones“ zu schaffen? Und welche Rolle spielt Weltstar Anthony Hopkins dabei? Wir klären auf.
Blutströme ergießen sich über Mamorstatuen und Denkmäler und durch die Straßen der digitalen Miniatur des alten Roms, die Titelbuchstaben der Serie gleiten zum Geräusch sich kreuzender Klingen ins Bild, ein Löwenbrüllen schließt das Titelthema des französischen Musikers Woodkid, dessen Musik auch schon für die „Assassin’s Creed“-Game-Reihe verwendet wurde: Ja, es ist gleich im Vorspann klar, wohin die Reise geht – am besten in ein weiteres Westeros. Die Macher von „Those about to die“ suchten offenbar einen Stoff, der Macht, Intrigen, Sex, Rache, Gewalt und Politik genauso erfolgreich verbindet wie der Fantasyhit nach den Büchern von George R. R. Martin.
Und wo findet man diese Zutaten auf dem Silbertablett serviert? Na klar, im Römischen Reich, der Welt von imperialistischem Größenwahn, dauerwechselnden,. oft ermordeten Kaisern, Korruption, Dekadenz, Umstürzen und Brot und Spiele! Das Ganze basiert auf dem gleichnamigen Sachbuch des US-Amerikaners Daniel P. Mannix von 1958. Und es hilft natürlich, wenn mit Iwan Rheon einer die Hauptrolle spielt, der aus „Game of Thrones“ bekannt ist. Dort verkörpte Rheon den brutalen Lord Ramsay Bolton.
Regie führten bei den zehn Folgen Roland Emmerich und sein deutscher Kollege Marco Kreuzpaintner („The Lazarus Project“). Produziert haben unter anderem Oliver Berben („Haus aus Glas“, „Liebes Kind“, „Eldorado KaDeWe“), Martin Moszkowicz („Resident Evil“) und Herbert G. Kloiber („Der Name der Rose“).
„Those about to die“ bei Amazon Prime: Worum geht es?
Zu Beginn wechselt der Handlungsort des 140-Millionen-Dollar-Projekts schneller, als Obelix „Die spinnen, die Römer! sagen kann. Schrifttafeln helfen bei der Einführung der vielen Figuren, für die man schon einige Folgen braucht, um sie auseinanderzuhalten. Da die meisten davon jung, gutaussehend und dunkelhaarig sind, ist das gar nicht so einfach. Im Zentrum der horizontal erzählten Handlung steht Tenax (Iwan Rheon), der von ganz unten nach ganz oben will: „Rise or die – the roman Way“, wie er sagt. Ganz oder gar nicht, alles oder nichts, Leben oder Tod. In dieser Mischung aus Historienspetakel, Sportfilm und Seifenoper ist Tenax der Betreiber der lukrativsten Sportwettenbar in ganz Rom, im Bauch des Circus Maximus. In dieser Serie gehen nicht Legionärsheere auf den Schlachtfeld aufeinander los, sondern Gladiatorn in der Arena und Wagenlenker beim Wagenrennen.
Und der beste Wagenlenker ist Scorpus (Dimitrios Leonidas), dessen atemberaubende Karriere sein Freund Tenax einst mit drei verschobenen Rennen anstieß. Tenax will nun eine eigene Renn-Fraktion gründen, bisher gibt es nur vier davon: Blau, Weiß, Rot und Grün – alle von patrizischen Unternehmen geleitet, die den größten Einfluss in Rom haben. Vor allem die hinterhältige Antonia (Gabriella Pession) und ihr Gatte Marsus (Rupert Penry Jones) möchten sich und die blaue Fraktion an der Spitze des Römischen Reiches sehen. Da ist die Antonias Affäre mit Scorpus nur eins von vielen Mitteln zum Zweck.
Der Kaiser tritt ab – wer folgt ihm nach?
Ganz oben im Staat – in dem es nur um zwei Dinge geht: innenpolitischer Frieden und sprudelnde Steuereinnahmen – steht immer noch der greise Kaiser Vespasian (Sir Anthony Hopkins), der seine Nachfolge regeln muss: Soll es sein ältester Sohn Titus Flavius Vespasianus (Tom Hughes, Miniserie „Franklin“) oder der intrigante Sohn Titus Flavius Domitian (Jojo Macari, „Sex Education“) werden? Während Titus als General die regelmäßigen Aufstände in Rom niederschlägt und Gladiatorenkämpfe für Verschwendung an Menschenmaterial hält, ist Domitian zuständig für Brot und Spiele. Doch das Getreide fürs kostenlose Essen kommt nicht in Rom an, und nur Spiele halten den Pöbel dann auch nicht für immer ruhig. Ist Domitian zu sehr damit beschäftigt gegen seinen Bruder zu intrigieren, der sich gegen die Sitten mit einer gestürzten judischen Königin einlässt?
Cala (Sara Martins, „Death in Paradise“) ist derweil den langen Weg aus Nubien in Afrika nach Rom gekommen, um ihre Töchter vor der Slaverei und der Prostiution und ihren Sohn vor dem Tod in der Arena zu retten: Die Töchter wurden von den Römern verschleppt, Sohn Kwame (Moe Hashim, „Ted Lasso“) hatte sie schützen wollen und wurde ebenfalls mitgenommen. Seine Fähigkeiten als Jäger retteten ihn vor dem sicheren Tod. Nun schließt er in der Gladiatorenschule einen Pakt mit Viggo (Jóhannes Haukur Jóhannesson, „Game of Thrones“, „The Witcher“), um gemeinsam zu überleben und durch Begnadigung nach siegreichen Kämpfen ihre Freiheit wiederzuerlangen. Dabei müssen sie jedoch den als unbesiegbar geltenden Gladiatoren-Killerkoloss Flamma besiegen, während nebenan das Kollosseum für noch mehr grausame Gladiatorenspiele für das blutdürstige Volk erbaut wird. Dann gibt es noch drei spanischen Brüder um Elia (Gonçalo Almeida), die ihre edlen Rappen in Rom verkaufen wollen und in die Machenschafen dort hineingezogen werden.
Als die einzelnen Geschichten der Figuren sich mehr und mehr verknüpfen und auch noch ein mysteriöser Rächer aus Tenax‘ Vergangenheit auftaucht, nimmt das Spiel um Leben und Tod Fahrt auf …
Das alte Rom: Wie ist es gemacht?
Das Thema Rom wurde schon mehrfach in Serie und Filmen aufgegriffen in letzter Zeit: In HBOs Serie „Rom“ (2005–2007) oder in „Spartacus“ (2010–2013) vom Sender Starz, und im November kommt dann „Gladiator 2“ von Ridley Scott, in dem Rom auch fallen muss. „Those about to die“ greift auf echte historische Persönlichkeiten zurück, wie seine Vorgänger. Genau wie „Rom“ wurde „Those about to die“ in den legendären Cinecittà-Studios nahe Rom gedreht. Das fällt bei Straßenszenen kaum auf. Es ist ja auch klar, das Emmerich und sein Team nicht das gesamte antike Rom wieder aufbauen konnten, daher sind auch Circus Maximus, Kolloseum, Paläste und die Luftaufnahmen der Stadt am Computer entstanden. Das ist für einen Historienfilm aus Rom nichts Ungewöhnliches, auch „Gladiator“ kam bei den Szenen in der Arena oder bei Panoramaaufnahmen der Stadt nicht ohne animierte Menschenmassen aus.
Dass aber auch alle Szenen vor der Green Screen gedreht wurden, die in der Wüste, im Hafen oder in den Bergen spielen, verleiht der Serie zu Beginn einen eigenartigen Touch. Wenn die Figuren am Hafen agieren und im Hintergrund Segelschiffe, das Meer und der weite Himmel mit dichten, dunklen Wolken zu sehen sind, sieht das aus, als ständen sie vor einer digitalen Großprojektion eines Gemäldes von Caspar David Friedrich – so unbewegt und starr sind die Hintergründe. Auf den Löwen in der Arena hätten sie auch besser verzichtet, er sieht aus wie Scar aus „Der König der Löwen“ – und zwar der aus der Zeichentrickversion! Da waren die animierten Tiger in „Gladiator“ naturgetreu gegen, und das ist 25 Jahre her. Solche Ausreißer nach unten in der Qualität der Computereffekte nehmen aber mit jeder Folge ab, als müsste sich die Serie erst einmal eingrooven.
Während die Figuren nach Sonnenuntergang oft in fast völliger Dunkelheit um Einfluss und Sieg ringen, fragen wir uns: Hat denn keiner Geld über für zwei, drei mehr Kerzen oder Fackeln? Oft erkennen wir gar nicht, wer denn hier gerade wen verfolgt, ausspioniert oder meuchelt, die vielen Nebenrollen sorgen dafür, dass wir teils die Übersicht verlieren. War es im alten Rom nicht nur in Punkto Menschenrechte finster, schlug sich die moralische Verrohung auch auf die Lichtverhältnisse nieder? Wir können das in der Tat annehmen, denn ungehindert strahlenden Sonnenschein gibt es hier erstmal kaum. Das könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass bei Regen und in Dunkelheit der Einsatz von Computereffekten nicht so auffällt (Vergleich hierzu > eigentlich alle Filme aus dem DC Comic-Universum). Wir ziehen es aber vor, die vorherrschende Düsternis als ästhetisch-erzählerische Entscheidung zu interpretieren – macht einfach auch mehr Spaß so.
Wie gut ist „Those about to die“?
Apropos Spaß: Der Fun-Faktor ist das große Plus der Serie. Es wird nie langweilig, und was vorhersehbar ist, ist auf eine Weise vorhersehbar, die sich an den Genre-und Sehkonventionen orientiert. Natürlich wissen wir, dass Tenax nicht in der soundsovielten Folge sterben wird, wenn er attackiert wird. Aber es gehört halt dazu, sich Sorgen um ihn zu machen, damit die emotionale Bindung an die eigentlich unysmpathische, harte Figur stärker wird. Es ist auch nie klar, ob Tenax unsere Sympathie überhaupt verdient oder ob Iwan Rheon hier nicht doch einen Antihelden verkörpert, der mit dem sadistischen Ramsay Bolton aus „Game of Thrones“ doch so einiges gemein hat.
Gewalt und Sex gibt es hier auch nicht wenig, aber „Game of Thrones“ war da sehr viel drastischer und kontroverser, teils war es das pure Heischen nach dem Skandal. Bei Emmerich und Kreuzpaintner hacken die Gladiatoren auch Gliedmaßen ab und je länger die Serie geht, desto mehr Sex aller geschlechtlichen Spielarten, Crime und Gewalt kommen vor. Die Wagenrennen, immer wieder von schrecklichen Unfällen überschattet, werden immer mitreißender und dramatischer, je besser wir die Wagenlenker kennenlernen und um ihr Überleben fürchten. Aus Fremden werden Verbündete, aus Freunden werden Feinde, weil es in Rom eben nur nach oben oder in die Bedeutungslosigkeit geht. Und so streben sie alle zum Licht, nicht weniger verbrennen dabei wie unvorsichtige Insekten.
Klar, Wagenrennen gab es schon im legendären „Ben Hur“ von 1959, Gladiatorenkämpfe haben „Gladiator“ mit Russell Crowe und die Serie „Spartacus“ brillant abgedeckt und den politischen Teil die Serie „Rom“ – hier aber haben wir das alles in einer Serie! Auch ist der Schwerpunkt auf Sport und Mord in den Arenen mit dem Protagonisten Tenax was Neues. Spannend sind zudem die Themen, die „Those about to die“ zwischen seiner gleichzeitig komplexen und einfach gestrickten Handlung anreißt: Es geht hier nicht um eine homogene römische Figurenriege, hier steht der multikulturelle Schmelztiegel, der Rom durch die grenzenlosen Eroberungen und das wachsende Imperium war, im Mittelpunkt. Griechen, Spanier, Afrikaner, Perser, Araber, Skandinavier: Die erzwungene ethnische Diversität durch Verschleppung und Versklavung macht aus der Stadt Rom einen Vielvölkerstaat im Kleinen, auch, wenn die Nicht-Römer nur als Soldaten, Diener, Sklaven oder Sextoys dienten: Menschen verschiedenster Völker, Kulturen, Religionen und Traditionen lebten hier zusammen. Die Fluchtbewegung Richtung Rom nach dem Ausbruch des Vesuv und der Auslöschung der Stadt Pompeji verstärkt das noch.
Multikulturelles Empowerment im Jahr 79 n. Chr.
Rom mag ein furchtbarer Moloch sein, der einige der Figuren in verhängnisvolle Versuchungen führt, doch Rom ist auch eine Megacity der Möglichkeiten. Und so sind auch die, die von der iberischen Halbinsel kommen, um Pferde zu verkaufen, hierher verschleppt wurden oder aus Nordafrika über das Mittelmeer reisten, um die Kinder heimzuholen, bald schon der Faszination Roms erlegen. Cala blüht geradezu auf und beweist rundum Management-Qualitäten als Tenax’ rechte Hand, ihre Töchter gehen ihren (gleich)geschlechtlichen Neigungen nach, unvorstellbar in der ländlichen afrikanischen Heimat. Vor allem die Frauen finden in der giganischen Metropole die Chance auf Selbstermächtigung und Selbsterfüllung, streben nach Macht (Antonia) und einem selbstbestimmen Leben (Cala). Cala ist auch das moralische Zentrum des Stoffes, eine Werte-Navigatorin für den ethisch abgestürzten Tenax und Kraftgeberin für ihre Kinder.
In den letzte zwei, drei Folgen zieht „Those about to die“ das Tempo nochmal an, und eliminiert dabei so manche Figur, bei der wir das nicht erwartet hätten oder zumindest nicht so überstürzt. Dafür gibt es dann viel spektakuläre Schauwerte, wie das geflutete Kollosseum samt Nil-Krokodilen. Die digitalen Effekte sind auch endlich dem Budget angemessen und wirklich gut – bis auf den Löwen, der noch einmal einen Aufritt hat. Wir betarchten das einfach als Running Gag der Serie … Und noch einmal wird klar, dass es im antiken Rom kein Gut und Böse gab – und dass wir selbst unserer Hauptfigur Tenax nicht trauen können, dass sie sich zum Helden entwickelt. Denn Tenax will nun einmal ganz nach oben, und das gelingt in einer solchen Umgebung nicht, indem man Fleiß- und Knuddelpunkte sammelt.
Ist „Those about to die“ jetzt das neue „GOT“?
Nein, natürlich nicht. Schließlich fehlen hier Drachen, Magie und weiße Wanderer, was den Erfolg der Fantasyserie in großem Maße ausgemacht hat und ohne die „Game of Thrones“ auch „nur “eine Mittelalterserie wäre. Die anderen Zutaten sind, wie schon gesagt, hier aber auch drin – und sind verdammt unterhaltsam angerichtet. Wer auf Historienschinken steht, in denen sich nackte Leiber in Betten wälzen, mit Schwertern Kehlen durchgeschnitten und bei schummrigen Kerzen- und Fackelschein Gespräche über Mord, Umsturz, Paktiererei und aufbrechende emotionale Verkrustungen geführt werden – der ist hier genau richtig. Zumindest bis zum nächsten „GOT“-Spin-off.
„Those about to die“ spricht durch ähnlich viele Intrigen, den bekannten und beliebten Spielort antikes Rom, sympathischere Figuren und ein höheres Tempo vielleicht sogar einen größeren Kreis an Streaming-Fans an. Am Schluss der mitreißenden zehnten Folge ist alles für eine zweite Staffel angerichtet, neue Feindschaften sind entstanden, alte Freunschaften aufgekündigt, neue vielleicht am entstehen, alle müssen voreinander auf der Hut sein, so nah sie sich auch stehen: Let the Games begin!