Grenzerfahrung im Tiefschnee
Mit sensibler Charakterzeichnung lässt uns Tina Uebel in ihrem neuen Roman „Dann sind wir Helden“ ganz tief in die Sehnsüchte der Menschen schauen.
In Tina Uebels Geschichten geht es um Selbstverwirklichung und Grenzerfahrung. Im neuen Roman „Dann sind wir Helden“ holt sich Kathrin in der Nähe von St. Moritz auf einem Seminar die Motivation, um mit etwa 50 im Netz noch einmal als Influencerin durchzustarten. Ganz anders die gleichaltrige Ruth, die nur wegen einer laufenden Affäre vor Ort ist. Sie spielt mit ihrem zynischen Blick das erfrischende Korrektiv, schaut sich die Schweizer Berge an, schweift ab und entwickelt aus folgendem Gedanken für sich existenzielle Entscheidungen: „Wir sollten nicht hier sein, nicht so. Es ist Betrug. Hier sollte man nur sein, wenn man dort selbst hochgehen kann.“ Tina Uebel präsentiert die Zweifel, die Sehnsüchte und die Entscheidungen der beiden Frauen, obwohl diese vom ganzen Wesen her eine riesige Distanz zueinander aufweisen.
Neben Ruth und Kathrin folgen wir noch Kathrins Sohn Simon, der so oft wie nur möglich der Heimatstadt Hannover entflieht, um in Hamburg auf St. Pauli sich selbst zu finden. Jero, der Bergführer, steht – obwohl ständig nur unterwegs – als einziger im Hier und Jetzt und ist fokussiert, denn er weiß: Wenn er die Menschen, die ihn gebucht haben, nicht sicher auf den Berg und wieder runter bringt, kann wer sterben. Alle vier suchen – doch wo liegt die Erfüllung? Ohne Gepäck im hüfthohen Schnee auf dem Gebirgspass? Im Videoblog beim Geplauder über Glück und Konsum, auf der Suche nach passiven Einkommensströmen? Oder auf der G20-Demo in Hamburg? Tina Uebel lässt uns mit sensibler Charakterzeichnung tief in die Sehnsüchte der Menschen schauen. Doch geht es der Autorin nicht um Innerlichkeit, sondern um die Bestandsaufnahme eines gesellschaftlichen Zustandes.
Mit „Dann sind wir Helden“ hat es Tina Uebel auf unsere Liste der besten Bücher im März 2021 geschafft.