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Tom Cruise und die Midlife-Crisis in „Mission: Impossible – Rogue Nation“

Tom Cruise Mission: Impossible - Rogue Nation
Tom Cruise bei der Arbeit (Foto: ZDF/Bo Bridges)

Buster Keaton und Jackie Chan sind eigentlich die Könige der selbst ausgeführten Filmstunts. Tom Cruise will sie vom Thron stoßen in unserem TV-Tipp.

Wenn ein Mann das 40. Lebensjahr überschreitet, zieht er in der Regel das erste Mal Bilanz. Er stellt fest, dass Muskelmasse und Leistungsfähigkeit ab- und Körperfettanteil und Belastungsgrenzen zunehmen. Die eigene Sterblichkeit führen ihm seine immer siechigeren Eltern vor Augen, das Endegelände der Karriere die jüngeren Kollegen. Und die Erkenntnis, dass er nicht mehr die ganze Welt und die darin lebenden Frauen erobern wird, trifft ihn allmorgendlich beim Frühstück mit Frau und quengelnden Kindern. Die üblichen Reaktionen auf diese Quartalszahlen mit nach unten weisender Erfolgskurve sind Männlichkeitsrückversicherungen finanzieller Natur. Was aber tun Männer, die berühmt genug sind für fast jede Geliebte und reich genug für jedes Geschenk an die eigene verblühende Maskulinität? Hollywoodstar Tom Cruise, geschätzte 500 Millionen Dollar schwer, Besitzer mehrerer Luxusimmobilien und Gegenstand zahlreicher Gerüchte um Affären mit jüngeren Frauen, zögert den Übergang vom verbrachten zum verbleibenden Leben seit Jahren im Kino hinaus: Er macht aus seinen Filmen Extremsportevents. Und je älter er wird, desto wahnwitziger werden seine Stunts.

Was machte Tom Cruise in „Mission: Impossible“ 1 + 2“?

1996, im ersten Teil von „Mission: Impossible“, sprang Cruise noch – gähn – vor einem berstenden Speisefischaquarium davon, hängte am Seilen von einer Decke runter und rangelte vor der Blue Screen auf einem dahinschießenden Hochgeschwindigkeitszug herum. Er war damals ja auch erst 34 und der wohl größte Filmstar der Welt. Das schießt so viel Testosteron ins Blut, wer braucht da schon Ersatzbefriedigungen? Doch schon wenige Jahre später, im Jahr 2000, musste der Enddreißiger Cruise nachdrücklich seine Virilität beweisen: In der Eröffnungssequenz von „Mission: Impossible 2“ freeclimbte er in einem Felsen im Dead Horse Point State Park in Utah, in schwindelerregender Höhe und nur durch ein paar Seile gesichert. Natürlich sollte das die Verwegenheit und Stamina der Hauptfigur betonen. Aber im Männergenre Actionfilm überlappen sich die Images der Helden immer mit denen ihrer Darsteller – Bruce Willis oder Clint Eastwood hält man für extrem männlich, weil sie in ihren Filmen extrem männliche Dinge tun wie Terroristen wegpusten oder Outlaws umlegen. Und sie tun das, eben weil sie sich für extrem männlich halten.

Was machte Tom Cruise in „Mission: Impossible“ 3 + 4“?

Im Jahr 2006 wurde Cruise Vater. Damit hatte er seine Männlichkeit wohl so weit unter Beweis gestellt, dass er sich mit 45 im dritten Teil von „Mission: Impossible“ damit begnügte, vom Studionachbau eines Wolkenkratzers zu springen, um einen echten Basejump nachzustellen. Aber irgendwie hat das dann doch nicht gereicht. Vielleicht hat sich Cruise dabei wie ein grau melierter Sugar-Daddy gefühlt, der vor dem Sex mit seiner 25 Jahre jüngeren Geliebten Viagra schluckt und die koitale Höchstleistung danach dennoch seiner uneingeschränkten Potenz zurechnet. Vielleicht wollte er auch einfach nicht enden wie Harrison Ford oder Mel Gibson – ehemalige Alpha-Männer, die sich sinnkriselnd plötzlich mit Charakterrollen und Regiepreisen schmückten anstatt mit gebrochenen Rippen und dem Triumph über die vermeintliche Allmacht der Jugend. Es musste also eine Steigerung zum Felsenklettern her, eine wahrhaft wahnsinnige Tat der Männlichkeit, ein „Fuck you!“ an altersbedingtes Weicheiertum und kriseninduzierte Wehwehchen.

In Dubai fand Tom Cruise 2011 schließlich, was er dafür brauchte: das höchste Gebäude der Welt, den Burj Khalifa. In „Mission: Impossible – Phantom Protokoll“ bewies Cruise seinen Fans und sich selber, was für ein ganzer Kerl er auch mit 49 noch war. Er kraxelte an der Glasfassade des Stahl- und Glasgiganten mehrere Stockwerke hoch, in 800 Metern Höhe, wiederum nur durch Seile gesichert, von Fallwinden hin und her geworfen. Spätestens danach hätte Cruise eigentlich zu sich selber sagen können: Tom, ist gut jetzt. Du bist immer noch der knackige Jungspund, der du in „Top Gun“ und „Tage des Donners“ warst, mutig wie zehn Klippenspringer, hart wie Iron Man und Ironman-Sieger, unsterblich wie Mythos und Messi… !

Was macht Tom Cruise in „Mission: Impossible 5 + 6“?

Tom Cruise hat seine Midlife-Crisis immer noch nicht überwunden, sie droht sogar zum Dauerzustand zu werden. Und so sehen wir den stolze 53 Jahre alten Cruise in „Mission: Impossible – Rogue Nation“ von 2015 außen an ein startendes Militärflugzeug geklammert auf 1 500 Meter mitfliegen.Wahrscheinlich auch, um jüngere Zielgruppen für altere Actionhelden zu erobern. Dafür legte er in in Teil 6, „Mission: Impossible – Fallout“ 2018 mit 56 noch einen, nein mehrere drauf: Er fiel von einem Seil, das in 650 Meter Höhe an einem Hubschrauber hängt auf die 15 Meter darunter befindliche Ladung. Er machte einen Spiralflug mit einem Helikopter durch einen Wasserfall. Er unternahme als erster Schauspieler der Filmgeschichte einen Halo-Fallschirmsprung aus 8 000 Meter Höhe mit Sauerstoffhelm. Er brach sich den Knöchel bei einem Sprung über eine Häuserschlucht.

Wir staunen, wir japsen nach Luft, wir sind beeindruckt. Und froh, dass uns ein Halbmarathon und ein Besäufnis mit den alten Kumpels genügen, um uns für ein paar Stunden vorzugaukeln, wir seien immer noch die jungen Wilden.

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