Von radikalen Wendungen: Die besten Alben der Woche
Sophie Hunger geht mit Dan Carey auf volles Risiko, und die Black Metaller von Ulver machen jetzt Synthpop: Die besten Alben der Woche.
Was haben die schweizer Singer/Songwriterin Sophie Hunger, das norwegische Black-Metal-Kollektiv Ulver und das baskische Indie-Quartett Belako gemeinsam? Sie alle haben sehr, sehr gute Alben herausgebracht, und die leben wiederum allesamt von jähen Wendungen. So hat Sophie Hunger mit Dan Carey ihr großartiges neues Album „Halluzinationen“ in einem Take eingespielt – und bewegt sich ganz natürlich zwischen Jazz, 80er-Pop, Krautrock und Chanson.
Ulver führen dagegen mit „Flowers of Evil“ eine Bewegung fort, die bereits mit ihrem letzten Album „The Assassination of Julius Caeasar“ begann: Die Black-Metal-Vorreiter, die mit „Bergtatt“ eines der besten Alben zum Genre beigesteuert haben, machen neuerdings Synthpop – den sie allerdings mit einer dichten Postrock-Atmosphäre anreichern, ohne dass Bangern wie „Machine Guns and Peacock Feathers“ oder „Russian Doll“ das Hitpotenzial verspielen.
Das Quartett Belako aus dem Baskenland hat dagegen keine jähe Karrierewendung vollzogen. Viel mehr lebt ihr extrem beweglicher Indierock-Entwurf zwischen Festivalhymnen und Postpunk-Brüchigkeit seit jeher davon, dass sie einfach alle Spielarten, die sie so einstreuen, perfekt beherrschen. Die besten Alben der Woche.
Sophie Hunger: Halluzinationen
Mit wem ginge ein Neuanfang besser als mit Dan Carey, dem Chef des Londoner Spontaneität-als-Sinneszweck-Labels Speedy Wunderground? Gemeinsam haben sich Carey und Sophie Hunger in den Abbey Road Studios eingemietet und Hungers siebtes Album „Halluzinationen“ in einem langen Take eingespielt. Komponiert hat sie die zehn Stücke in der heimischen Küche in Kreuzberg, mit einer spärlichen Instrumentierung aus einem Klavier, einer handvoll Synthesizer und einer Drum-Machine.
Entsprechend geisterhaft ist auch das fertige Album geworden, auf dem Dan Carey ihren Skizzen nur hier und da mit Midi-Bässen, Bläsern und Gitarren etwas mehr Körper verleiht. Und es ist bemerkenswert, wie viele unterschiedliche Stimmungen, wie viel Vielfalt die beiden dem kargen Sound abtrotzen, ohne, dass das Ergebnis ausgestellt wirkt.
Ulver: Flowers of Evil
Ulver mögen ihre illustre Karriere mit Black Metal begonnen haben, doch sie haben sich nie an einen Sound gekettet: Wie selbstverständlich folgten Neofolk, Postrock, Ambient, Neoklassik, Krautrock – und nun Synthpop. Die Songs sind kürzer und formelhafter, und der Sound ist zu großen Teilen einheitlich: stilgerechter 80er-Pop.
Das heißt: entweder brütende oder schillernde Synthesizer, federnde Bässe, fette Gitarren, dramatisches Klavier und treibendes Schlagwerk. Ulver überzeugen vor allem auf der ersten Hälfte von „Flowers of Evil“, mit Bangern wie „Russian Doll“ und „Machine Guns and Peacock Feathers“.
Belako: Plastic Drama
Ein internationales Publikum kennt Belako wohl erst, seitdem sie im Soundtrack zur vierten Staffel von „Haus des Geldes“ aufgetaucht sind. In Spanien sind sie mit ihrem extrem beweglichen Indierock zu Recht bereits Szenelieblinge – ein Status, den sie mit ihrem vierten Album „Plastic Drama“ nun hoffentlich bald auch auf internationaler Ebene einnehmen können.
Indierock-Hymnen wie „Tie me up“, „The Craft“ und „Sirène“ sollten unbedingt für den Post-Corona-Festivalsommer auswendig gelernt werden. Die zweite Hälfte von „Plastic Drama“ beweist aber erneut, dass Belako auch über das bierselige Festival-Delirium hinaus Bestand haben – insbesondere der Closer „Truce“: die mit Abstand schönste Proberaum-Freundschaftshymne, die es je auf eine Platte geschafft hat.