Die Grenzen der Empathie
Debütromane sind gern sanft und ungern mutig. Amanda Lasker-Berlin geht mit „Elijas Lied“ den entgegengesetzten Weg.
Zunächst hat Amanda Lasker-Berlin Freie Kunst an der Bauhaus Uni Weimar studiert, mittlerweile ist sie an der Akademie für Darstellende Kunst Ludwigsburg. Bereits mit 18 hat sie ihr erstes Theaterstück inszeniert, und als 25-Jährige legt Amanda Lasker-Berlin nun einen herausragenden Debütroman vor, mit dem sie hochaktuelle gesellschaftliche Themen aufgreift. In „Elias Lied“ erzählt Amanda Lasker-Berlin von den drei Schwestern Loth, Noa und Elija. Loth ist in die rechte Szene abgerutscht und lebt in Halle in einer patriotischen Hausgemeinschaft. Noa arbeitet als Sexualbegleiterin für Pflegebedürftige, und Elija, die älteste der drei Schwestern, wurde mit Trisomie 21 geboren und lebt als Star einer integrativen Theatergruppe in Berlin. Können die Schwestern sich noch mal für einen Tag nah sein, nachdem ganz unterschiedliche Weltanschauungen sie in den letzten Jahren entzweit haben?
Amanda, du warst an der Bauhaus Uni Weimar und studierst jetzt Theaterregie in Ludwigsburg. Dein erstes Theaterstück hast du mit 18 inszeniert, nun legst du mit 25 einen Debütroman vor. Vermutlich wirst du oft auf dein Alter angesprochen.
Oh ja, damit werde ich ziemlich oft konfrontiert. Mich stört daran, dass dabei so getan wird, als wäre man als junger Mensch nicht fähig und dazu berechtigt, sich über gesellschaftliche und historische Sachen Gedanken zu machen. Es impliziert die Projektion, dass man als junger Mensch nur selbstreferenzielle Arbeiten vorlegt.
Bei der Rezeption deines Debüts wird stets betont, dass „Elijas Lied“ ein sehr politischer Roman ist, der drängende gesellschaftliche Thematiken verhandelt. Diese Betonung sagt ja auch etwas Generelles über die inhaltlichen Schwerpunkte junger Autor*innen aus.
Es ist schon auffällig, dass es viele Bücher gibt, die sehr sanft und nicht besonders mutig sind. Der große Reiz von Literatur ist doch aber gerade, dass man neue Lebenswirklichkeiten kennen lernen kann – und da muss man dann einfach auch mal ein bisschen was wagen. Sonst weiß man ja hinterher kaum mehr als vorher. Mein Ausgangspunkt für den Roman war die Frage: Wie können drei Schwestern um die 30 noch zu einem Austausch kommen, wenn sie die Welt ganz unterschiedlich sehen? Nach und nach haben sich die Figuren konkreter ausgeformt, und es sind immer mehr Konflikte entstanden.
Bist du an die Grenzen deiner Empathiefähigkeit gekommen, wenn du etwa aus der Perspektive von Loth schreibst, die in Halle in einer patriotischen Hausgemeinschaft lebt?
Bei der Recherche bin ich an diese Grenze gestoßen, weil ich mich viel mit der Neuen Rechten beschäftigt habe. Wie sich da verhalten wird und was da so gesagt wird, ist schon sehr zermürbend. Durch das Schreiben habe ich dann aber die Angst und den Respekt vor dieser rechten Rhetorik verloren. Es hat sich durch das Schreiben selbst entlarvt, und ich konnte einen Umgang damit finden.
Die Gefahr ist groß, dass Loth nicht als deine Figur, sondern als ein Erklärungsmodell gelesen wird.
Stimmt, nur weil es für einen Bereich wenige Erzählungen gibt, setzt man eine Bearbeitung dann gern absolut. Aber das will ich gar nicht behaupten. Loth ist eine Erfindung und der Versuch einer Figur, die da zu verorten ist. Klar, sie ist anstrengend und hat einen extremen Weg hinter sich. Trotzdem ist sie ja kein Monster. Eigentlich ist sie ja auch eine Figur, die versucht, vieles richtig zu machen – und die oft an ihren eigenen Ansprüchen scheitert. Das ist ja vielleicht auch etwas, mit dem man sich teilweise identifizieren kann.
Ihren Ansichten und Argumentationen gibst du aber wenig Raum und belässt es bei den üblichen leeren Parolen.
Mir war es wichtig, das nicht zu reproduzieren. Ich hatte kein Interesse daran, genau aufzuschlüsseln, welche rassistischen Verschwörungstheorien es innerhalb der Identitären Bewegung gibt. Stattdessen wollte ich wissen: Was macht das mit einer Persönlichkeit und mit einer Familie? In meinem Roman geht es um das Selbstverständnis einer jungen Frau und das soziale Miteinander.
Auch Loths Schwestern bieten Biografien an, die in der Literatur selten bis gar nicht vorkommen: Noa arbeitet als Sexualbegleiterin für Pflegebedürftige, und Elija, die älteste der Schwestern, wurde mit Trisomie 21 geboren und ist der Star einer inklusiven Theatergruppe in Berlin. Du hättest Stoff für mindestens zwei weitere Romane gehabt.
Ich wollte dieses Buch so dicht und zugespitzt, und mir war klar, dass es nur dann funktioniert, wenn ich mich traue, nicht alles auszuerzählen. Der Roman sollte wie ein Teppich sein, bei dem man auf verschiedene Felder springt. Es ist okay, wenn man nicht weiß, wie es zwei Zentimeter daneben aussieht, aber die Stellen, die man hat, die sind sehr klar, und aus ihnen kann man ein Bild herstellen. Es soll sich im Kopf der Lesenden konstruieren.