Die besten Bücher 2021: Empfehlungen für den August
Helfen bei Delta, Lambda, Omega: Die besten Bücher im August 2021 mit Quentin Tarantino, Elke Schmitter und Lukas Rietzschel.
Jetzt hat Quentin Tarantino also auch einen Roman geschrieben. Voll okay, dass er nur noch einen Film machen will – solange er dafür so grandiose Bücher schreibt wie die Romanversion von „Es war einmal in Hollywood“. Aber schafft es der erfolgsverwöhnte Regisseur auch aus dem Stand an die Spitze unserer Liste der besten Bücher im August 2021? Verhindern will das Lukas Rietzschel. Nach seinem Bestsellerdebüt „Mit der Faust in die Welt schlagen“ legt er mit „Raumfahrer“ nach: Rietzschel bleibt Sachsen treu und erzählt zwei Familiengeschichten, die vom Kriegsende bis in die Nachwendezeit reichen. Vielleicht ist aber auch Elke Schmitter die lachende Dritte und stürmt vorbei an den beiden Kontrahenten gen Spitzenposition auf unserer Liste der besten Bücher im August 2021. Mit „Inneres Wetter“ portraitiert Schmitter Menschen, die nichts Besonderes sind und denen nichts Besonderes passiert – und dennoch gelingt es ihr, diese Figuren interessant zu machen. Außenseiterchancen auf den Spitzenplatz auf unserer Liste der besten Bücher im August 2021 darf sich auch Antonia Bontscheva ausrechnen. „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ ist ein autobiografischer Debütroman, und Bontschevas Wille, auch Gefühle wie Bitterkeit und Zorn zuzulassen, setzt das Buch von anderen autofiktionalen Werken ab. Die Bosse in Hollywood sollten dagegen unbedingt „Such a fun Age“ von Kiley Reid lesen, denn der Roman hält problemlos mit hochgelobten Satiren der letzten Jahre wie „Geht out“ oder „Parasiten“ mit. Morgen im Kino, und schon heute auf unserer Liste der besten Bücher im August 2021.
Die besten Bücher im August 2021
5. Antonia Bontscheva: Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere
Bremen, 90er-Jahre: Die Ich-Erzählerin ist nach der Wende aus Bulgarien hergezogen, gemeinsam mit Mann und Tochter. Eigentlich will sie hier ein neues Leben beginnen, aber stattdessen fühlt sie sich haltlos, kopflos, heimatlos. Als ihr Vaters stirbt, kehrt sie zur Beerdigung in ihre Geburtsstadt Baltschik zurück – und beschließt, dass nur eine Konfrontation mit der Vergangenheit ihr helfen kann, im Jetzt zu sich selbst zu finden. Der Ton von Antonia Bontschevas autobiografischem Debütroman ist kein versöhnlicher: „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ liest sich in weiten Teilen wie eine Abrechnung, vor allem mit ihrem ersten Mann und ihrer Schwiegermutter. Aber auch mit der eigenen Familie, die ihre Traumata aus Krieg und Kommunismus eisern totgeschwiegen und gerade deshalb an die nächste Generation vererbt hat. Trotzdem spüren wir die Liebe zu ihren verschrobenen Verwandten, von deren Eigenheiten Bontscheva mit kräftiger Sprache und manchmal derbem Humor erzählt. Der Wille, auch Gefühle wie Bitterkeit und Zorn zuzulassen, setzt das Buch von anderen autofiktionalen Werken ab – und immunisiert es zugleich gegen Kitsch.
Frankfurter Verlagsanstalt, 2021, 416 S., 24 Euro
4. Kiley Reid: Such a fun Age
Eines Abends wird die Babysitterin Emira im Supermarkt von einem Wachmann attackiert: Sie soll Briar, das Kind ihrer weißen Chefin Alix, gekidnappt haben. Für die liberale Alix ist dieser Fall von Alltagsrassismus ein Anlass zu gerechtem Zorn. Um sich selbst zu beweisen, dass sie selbst alle Vorurteile hinter sich gelassen hat, will sie Emira zu einem Teil der Familie machen. Doch die ist jetzt 25 Jahre alt und will sich eigentlich längst nach einem anderen Job umsehen. Dann stellt sich heraus, dass Emiras neuer Freund Kelley eine gemeinsame Geschichte mit Alix hat – und die vielleicht lange nicht so woke ist, wie sie selbst glaubt. In ihrem Romandebüt „Such a fun Age“ nimmt sich Kiley Reid gewichtige Themen vor: Natürlich Black Lives Matter, aber Klassenunterschiede, Mutterschaft und Älterwerden spielen ebenso eine Rolle. Doch obwohl die Autorin vor unbequemen Wahrheiten nicht zurückschreckt, ist der Roman weder Pädagogik noch Pamphlet, sondern sprüht vor schwarzem Humor. Reid hat ein Gespür für Dialoge, sodass nicht nur Emira und ihre Freundinnen tatsächlich klingen wie junge Frauen der Instagram-Ära; auch die kleine Briar redet ausnahmsweise einmal wie ein echtes Kind. Sollte in Hollywood noch niemand auf die Idee gekommen sein, das Buch zu verfilmen, ist das hoffentlich nur eine Frage der Zeit: „Such a fun Age“ hält problemlos mit hochgelobten Satiren der letzten Jahre mit wie „Get out“ oder „Parasite“ mit.
Kiley Reid: Such a fun Age
Ullstein, 2021, 352 S., 22 Euro
Aus d. Engl. v. Corinna Vierkant
3. Elke Schmitter: Inneres Wetter
Das Wetter: grob vorhersehbar, im Detail aber letztlich immer unberechenbar. Potenziell dramatisch, zumeist allerdings harmloses Small-Talk-Thema. Jederzeit präsent, aber vornehmlich dann bemerkt, wenn es uns ungelegen kommt. All diese Nuancen spielen hinein in „Inneres Wetter“, den Titel von Elke Schmitters neuem Roman. Es geht ihr darum, die Gedankenwelt ihrer Figuren mit all ihren Kleinteilen, Abschweifungen und Widersprüchlichkeiten einzufangen. Die Handlung ist daher nebensächlich, fast schon beliebig: Drei erwachsene Kinder planen eine Feier zum 77. Geburtstag ihres Vaters. Huberta, die Älteste, ist alleinstehende Alkoholikerin, deren geliebte Hündin in den letzten Zügen liegt. Die sorglose Bettina hat einen deutlich älteren Mann geheiratet und mit ihm eine Tochter. Und der melancholische Sebastian zweifelt an seiner Ehe mit der resoluten Mora. Strukturiert werden die drei Teile des Buches von E-Mails, die Bettina ihren Geschwistern zur Vorbereitung der Feierlichkeiten schickt. Nicht nur in ihre Köpfe, sondern auch in die einzelner Verwandter und Freunde wirft Schmitter vermeintlich willkürliche Blicke, erzählt kurze Anekdoten, schildert ausgesuchte Szenen. Ein Zitat, das Schmitter ihrem Roman voranstellt, vergleicht unsere Schädel mit Platons Höhle: Alle Menschen, so die These, leben vorrangig im eigenen Kopf. Dass das detaillierte Ausleuchten dieser platonischen Höhlen sich nicht entfremdend oder ermüdend, sondern im Gegenteil sehr unterhaltsam liest, ist Schmitters lakonischem Humor zu verdanken – und ihrer makellosen Sprache: Monolog, Dialog, E-Mail, Tagebucheintrag, alle Formen kommen zum Einsatz, passen sich in das Gesamtgefüge ein. Subtile Eigenheiten wie Bettinas Hang zu immer leicht misslungenen Anglizismen fühlen sich an wie die Spleens echter Menschen. Letztlich ist daher auch die mangelnde Dramatik eher eine Stärke des Romans. Denn Schmitter porträtiert Menschen, die nichts Besonderes sind und denen nichts Besonderes passiert – und macht sie interessant. Das implizite Versprechen von „Inneres Wetter“: Aus dem richtigen Blickwinkel sind wir das alle.
C.H. Beck, 2021, 202 S., 22 Euro
2. Quentin Tarantino: Es war einmal in Hollywood
„In den 70er-Jahren waren Romanfassungen von Filmen die ersten Bücher für Erwachsene, die ich gelesen habe: Daher bin ich stolz, ,Es war einmal in Hollywood‘ als meinen Beitrag zu diesem oft marginalisierten, aber geliebten Subgenre der Literatur anzukündigen“, sagt Quentin Tarantino über sein Romandebüt. Natürlich sind die Figuren und auch der Plot aus seinem mit vielen Filmpreisen ausgezeichneten Meisterwerk aus dem Jahr 2019 bekannt: Da ist der abgehalfterte Schauspieler Rick Dalton, der einst für seine eigene Fernsehserie „Bounty Law“ gefeiert wurde, inzwischen aber nur noch als Western-Bösewicht gebucht wird und seine Selbstzweifel in Whiskey Sours ertränkt. Da ist sein Stuntdouble Cliff Booth, ein ehemaliger Kriegsheld, der seinem Boss aber eigentlich nur noch als Fahrer, Hausmeister und Therapeut dient. Und weil die Handlung im Februar 1969 in Los Angeles spielt, treten auch Roman Polanski, seine Frau Sharon Tate und Charles Manson auf. Doch bietet das Buch des 58-jährigen Starregisseurs eben nicht nur das abgedruckte Drehbuch oder eine Nacherzählung des Films: Tarantino ergänzt die Vorgeschichte seiner Figuren, er verleiht ihnen mehr Tiefe, und durch eine andere Anordnung der Handlungselemente setzt er einen komplett neuen Fokus.
Kiepenheuer & Witsch, 2021, 416 S., 25 Euro
Aus d. Engl. v. Stephan Kleiner u. Thomas Melle
1. Lukas Rietzschel: Raumfahrer
Nach den fremdenfeindlichen Übergriffen in Chemnitz wurde der Debütroman von Lukas Rietzschel vor drei Jahren als ein Schlüsselroman gefeiert: In „Mit der Faust in die Welt schlagen“ erzählt der heute 27-Jährige, wie junge Sachsen zu rechten Gewalttätern werden. Auch mit dem Nachfolger bleibt der heute in Görlitz lebende Rietzschel der Region treu – der Roman spielt in seinem Heimatort Kamenz – doch erweitert er den zeitlichen Rahmen, indem er in „Raumfahrer“ zwei Familiengeschichten nachzeichnet, die vom Kriegsende bis in die Nachwendezeit reichen. Ausgangspunkt ist der junge Jan Nowak, der noch bei seinem Vater im Keller wohnt und im Krankenhaus jobbt, das demnächst geschlossen werden soll. Hier trifft er auf dem im Rollstuhl sitzenden Thorsten Keun, der ihm aus dem Nachlass seines Vaters einen Karton voller Unterlagen übergibt, auf dem Jans Name geschrieben steht. So erfährt Jan von der Geschichte der Brüder Georg und Günter Keun: Während der Ältere nach West-Berlin geht und schon bald als Georg Baselitz zum gefierten Künstler wird, bleibt Günter im Osten, arbeitet als Fahrlehrer und verzweifelt, als sein Sohn Thorsten eines Nachts von einem Wartburg angefahren wird und der Fahrer einfach weiterfährt. Jan versucht die Verbindungen zu seiner eigenen Familie herzustellen und sieht sich mit Themen konfrontiert, die er lange Zeit umgangen hat: der so wortkarge Vater und Jans Mutter, die ihren Mann verlässt und nach und an ihrer Alkoholsucht zugrunde geht. Geschickt mischt Rietzschel die Zeitebenen, arbeitet die Brüche in Biografien, das Aufladen von Schuld, das Schweigen und das Verschweigen als Kontinuität heraus und offenbart wie ein routinierter Krimiautor erst nach und nach die Überschneidungen seiner beiden Handlungsstränge. Vor allem aber brennen sich die Worte ein, die er findet, um die Gemälde von Georg Baselitz zu beschreiben: Sie machen ein Verlorengehen in der Geschichte fühlbar.
dtv, 2021, 288 S., 22 Euro