Die besten Bücher 2021: Empfehlungen für den März
Wer ist das BioNTech-Vakzim unter den Neuerscheinungen? Und welche Romane sind eher nur so AstraZeneca? Die besten Bücher im März 2021 mit Benedict Wells, Hengameh Yaghoobifarah und Mithu Sanyal.
Der Erwartungsdruck ist enorm: Sechs lange Jahre sind seit dem großen Bestseller „Das Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells vergangen. Wird der Coming-of-Age-Roman „Hard Land“ den hohen Erwartungen gerecht und führt unsere Liste der besten Bücher im März 2021 an? Mit Spannung wird auch der Debütroman von Hengameh Yaghoobifarah unter die Lupe genommen. „Ministerium der Träume“ ist natürlich krawallig – aber eben längst nicht nur … Und dann ist da noch der Erstling des polnischen Autors Tomasz Jedrowski: „Im Wasser sind wir schwerelos“ wurde im Guardian mit „Call me by your Name“ verglichen. Oder schafft es Mithu Sanyal an die Spitze unsere Liste mit dem besten Büchern im März 2021? Die Kulturwissenschaftlerin und gefeierte Sachbuchautorin legt ihren ersten Roman vor. In „Identitti“ fliegt auf, dass sich Sarah Vera Thielmann nach einer Hormonbehandlung und chirurgischen Eingriffen als Person indischer Herkunft ausgegeben hat und so zu Saraswati werden konnte, einer gefeierten Professorin für Postcolonial Studies an der Uni Düsseldorf.
Die besten Bücher im März 2021
10. Christian Linker: Toxische Macht
In Christian Linkers „Toxische Macht“ ist die Pandemie schon wieder ein paar Jahre her und unter ihrem Eindruck eine junge Partei namens FUTURE erwachsen, deren Erfolg alle Prognosen in den Schatten stellt. Hauptgrund: ihre Chefin Coco Frahm, eine 24-jährige Studentin. Die Rechtsextremisten freut das gar nicht, sie können aber nichts gegen den Hype tun – bis Coco ihren Freund Maikel betrügt und der die Seiten wechselt. In der Nacht, in der Coco Kanzlerin werden könnte, soll er sie im Auftrag seiner neuen Freunde ermorden … Viel Zeit kann Linker für das Schreiben nicht gehabt haben, und so jagt auch „Toxische Macht“ mit atemberaubendem Tempo dahin. Den Wahnsinnsstress, unter dem seine Hauptfigur leidet, fängt das gut ein – politische Nuancen weniger. Insbesondere Maikels quasi übernächtlicher Wandel vom feministischen Gutmenschen zum Alt-Right-Identitären erinnert in seiner Unglaubwürdigkeit an Anakin Skywalkers Verwandlung in Darth Vader – ein Vergleich, den Linker präventiv selbst zieht. Doch wenn „Star Wars“ das Politische auf das Persönliche reduziert, ist das eine Sache. Bei Geschichten, die auf unserem Planeten spielen, sollte man mehr erwarten dürfen. Dennoch hat es Christian Linker mit „Toxische Macht“ auf unsere Liste der besten Bücher im März 2021 geschafft.
dtv, 2021
336 S., 14,90 Euro
9. Tina Uebel: Dann sind wir Helden
In Tina Uebels Geschichten geht es nicht ohne Selbstverwirklichung und Grenzerfahrung ab. Im neuen Roman „Dann sind wir Helden“ holt sich Kathrin in der Nähe von St. Moritz auf einem Seminar die Motivation, um mit etwa 50 im Netz noch einmal als Influencerin durchzustarten. Ganz anders die gleichaltrige Ruth, die nur wegen einer laufenden Affäre vor Ort ist. Sie spielt mit ihrem zynischen Blick das erfrischende Korrektiv, schaut sich die Schweizer Berge an, schweift ab und entwickelt aus folgendem Gedanken für sich existenzielle Entscheidungen: „Wir sollten nicht hier sein, nicht so. Es ist Betrug. Hier sollte man nur sein, wenn man dort selbst hochgehen kann.“ Tina Uebel präsentiert die Zweifel, die Sehnsüchte und die Entscheidungen der beiden Frauen, obwohl diese vom ganzen Wesen her eine riesige Distanz zueinander aufweisen. Neben Ruth und Kathrin folgen wir noch Kathrins Sohn Simon, der so oft wie nur möglich der Heimatstadt Hannover entflieht, um in Hamburg auf St. Pauli sich selbst zu finden. Jero, der Bergführer, steht – obwohl ständig nur unterwegs – als einziger im Hier und Jetzt und ist fokussiert, denn er weiß: Wenn er die Menschen, die ihn gebucht haben, nicht sicher auf den Berg und wieder runter bringt, kann wer sterben. Alle vier suchen – doch wo liegt die Erfüllung? Ohne Gepäck im hüfthohen Schnee auf dem Gebirgspass? Im Videoblog beim Geplauder über Glück und Konsum, auf der Suche nach passiven Einkommensströmen? Oder auf der G20-Demo in Hamburg? Tina Uebel lässt uns mit sensibler Charakterzeichnung tief in die Sehnsüchte der Menschen schauen. Doch geht es der Autorin nicht um Innerlichkeit, sondern um die Bestandsaufnahme eines gesellschaftlichen Zustandes.
C.H. Beck, 2021
269 S., 23 Euro
8. Dana Grigorcea: Die nicht sterben
Nach zahllosen Adaptionen vergisst man leicht, dass Graf Dracula ein reales Vorbild hat: Vlad III. Drăculea, ein Fürst des 15. Jahrhunderts, der gegen die vorrückenden Osmanen gekämpft hat und wegen seiner Grausamkeit als „der Pfähler“ bekannt war. Eigentlich erstaunlich, dass bisher niemand auf die Idee gekommen ist, Fakt und Fiktion zu verknüpfen. Das macht nun Dana Grigorcea mit „Die nicht sterben“: Ihre namenlose Hauptfigur ist als Kind oft in der rumänischen Kleinstadt B. bei ihrer Großtante Margot gewesen, die dort trotz der Diktatur ein sorgloses, großbürgerliches Leben geführt hat. Heute kehrt sie aus Paris in ein postkommunistisches, verfallendes B. zurück, regiert von korrupten Lokalpolitikern. Da findet man in der Familiengruft eine Leiche, die offenbar gepfählt wurde – und auf dem Grab daneben steht ein allseits bekannter Name. Als letzte Ruhestätte Vlads wird B. zur Touristenattraktion. Die Protagonistin sieht nachts einen Schemen die Hauswand hinabkriechen und stellt schon bald beunruhigende Veränderungen an sich fest … Grigorceas bild- und sprachgewaltiger Roman ist Schauermärchen, Krimi und düsteres Gesellschaftsporträt in einem. Bei aller Dichte sperrt sie sich gegen einfache Antworten: Ist der Hype um Dracula eine Metapher für die faschistoide Sehnsucht nach einem starken Führer – oder die Diktatur der Vergangenheit, so schwer totzukriegen wie der Vampir selbst? Sind die Politiker die wahren Blutsauger – oder Leute wie Margot mit ihrem aristokratischen Dünkel? Bis zum überraschenden Ende holt die Autorin aus dem Vampirstoff alles Denkbare heraus und zeigt einmal mehr: Auch nach mehr als 100 Jahren sind die Untoten nicht totzukriegen. Da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass es Dana Grigorcea mit „Die nicht sterben“ auf unsere Liste der besten Bücher im März 2021 geschafft hat.
Penguin, 2021
272 S., 22 Euro
7. Simon Urban: Wie alles begann und wer dabei umkam
Hartmann heißt der „Held“ in Simon Urbans neuem Roman „Wie alles begann und wer dabei umkam“. Einen Vornamen hat er nicht, wohl aber kann man zu Recht von der Wahl des Nachnamens durch Schöpfer Urban auf den Charakter des Protagonisten schließen. Der Mann ist ein Hardliner der ganz besonderen Sorte, er hält die Gerichtsurteile in Deutschland vor allem in der Strafprozessordnung für zu niedrig, und er möchte, dass bereits rechtskräftig gewordene Gerichtsbeschlüsse die Verfahren nicht nur zum Wohle der Verurteilten wieder aufgenommen werden können, sondern gerade auch zu ihrem Nachteil. Bisher hat Simon Urban mit seinen Romanen „Plan D“ und „Gondwana“ bewiesen, dass er gleichermaßen eine alternative Gegenwart wie auch einen Science-Fiction-Krimi aus dem Ärmel schütteln kann. Jetzt lässt er seinen Helden fantasieren – und das macht einen als Leser etwas ratlos. Denn Hartmann hat nichts anderes im Sinn, als ein „Inoffizielles Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland“ zu schreiben und das dann in die ganze Welt exportieren.
Aber warum? Was ist der Mehrwert eines 550-Seiters, in dem ein reaktionärer, selbstgerechter und empathieloser Jura-Student zuerst die Justiz revolutionieren will und dann zur Selbstjustiz greift, bis er selbst zum Tode verurteilt wird? Die Antwort auf diese Frage bleibt Simon Urban schuldig. Doch die Leerstelle fällt erst in der zweiten Hälfte des Romans auf. Der Anfang des Buchs ist ganz klar der komischere Teil. Schon mit elf Jahren will Hartmann seine Oma zum Tod verurteilen, weil sie mit ihrer täglichen Schikane der Tochter „wortwörtlich das Leben nehme“. Das hat Fallhöhe, die Komik entstehen lässt. Auch die Schilderung der Kindheit in Stuttgart, die ersten sozialen Kontakte in der Nachbarschaft, die Liebe zu den drei Weber-Schwestern: das bringt Abwechslung zur Schilderung, wie Hartmanns Mutter von der Großmutter mit aller Fantasie tyrannisiert wird. So wird die Geschichte weit mehr als nur eine psychologische Herleitung von Hartmanns Werdegang, nämlich eine Coming-of-Age-Erzählung mit vielen Seitenwegen und Ausfransungen.
Natürlich gibt es die auch im Leben des erwachsenen Hartmann. Sein Sexleben wird von ihm selbst durchaus schonungslos geschildert. Auch sein brutal-ehrlicher Umgang in der Freundschaft mit der Kommilitonin Sandra. Doch obwohl gerade Sandra im Lauf der Geschichte immer wichtiger wird – sie spricht ihm alle Rechte ab, Selbstjustiz zu üben, und fällt ganz am Ende ein vernichtendes Urteil über Hartmanns Selbstgerechtigkeit –, verlässt man den Roman am Ende ratlos. Wozu das alles? Eine zufriedenstellende Einbettung von Hartmanns juristischem Amoklauf in Theorie und Praxis in die Geschichte der Bundesrepublik der 1990er-Jahre findet nach Meinung eines Jura-Laien nicht statt. Vielleicht müsste man mal Juli Zeh fragen. Die ist Juristin und hat über Urbans Roman „Plan D“ geschrieben: „Das ist ein Text mit Muskeln“
Kiepenheuer & Witsch, 2021
544 S., 24 Euro
6. Sharon Dodua Otoo: Adas Raum
Im Jahr 2016 hat sie mit der Erzählung „Herr Gröttrup setzt sich hin“ den Bachmannpreis gewonnen, und im vergangenen Jahr bekam ihre Eröffnungsrede „Dürfen Schwarze Blumen malen“ viel Aufmerksamkeit. Mit „Adas Raum“ liegt auch nun endlich das lang erwartete Debüt von Sharon Dodua Otoo vor, ein feministischer Roman in der Tradition Virginia Woolfs. Otoo springt hier durch Orte, Zeiten und Situation. 1459 ist Ada Mutter im westafrikanischen Totope, 1848 wird sie in London zur Computer-Pionierin, 1945 zur Prostituierten in einem KZ. 2019 schließlich ist Ada eine junge Schwangere auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Spektakulär sind auch die Erzählinstanzen in diesem Roman: In Totope ist es ein Reisigbesen, der erzählt. In London ein schwerer Türklopfer an der hochherrschaftlichen Haustür der Adresse Battersea Road 37. Und in Berlin ein Reisepass. Kunstvoll entfaltet Sharon Dodua Otoo in „Adas Raum“ ein kompliziertes Mosaik menschlicher Erfahrungen. Zusammengehalten wird es von einem Perlenarmband, das durch die Weltgeschichte reist und am Ende im Katalog einer Ausstellung über „Vorkoloniales Westafrika“ landet. „Adas Raum“ von Sharon Dodua Otoo landet dagegen auf Platz sechs unserer Liste der besten Bücher im März 2021.
S. Fischer, 2021
320 S., 22 Euro
Die besten Bücher im März 2021: TOP 5
5. Callan Wink: Big Sky Country
Okay, Trump ist abgewählt, aber die Gräben in der US-Bevölkerung sind keineswegs kleiner geworden. Vielleicht freuen sich die Verleger*innen in den großen Städten darum so sehr über jedes Buch, das verspricht, ihnen das ländliche Amerika näherzubringen. Das Siegel der Authentizität hat Callan Wink: Bevor er Autor wurde, hat er lange Jahre als Angellehrer in Montana gearbeitet. In diesen bergigen Bundesstaat im Westen zieht auch August, der Protagonist von Winks Debütroman „Big Sky Country“. Nach der Trennung seiner Eltern geht er mit seiner Mutter mit, die es am liebsten hätte, wenn er nach der Schule studiert. Stattdessen heuert August auf einer Ranch an, schlägt Zaunpfähle in den Boden, geht angeln, schließt Männerfreundschaften mit anderen Ranchern. Aber was will er eigentlich vom Leben? Politik wird in dieser unsentimentalen Coming-of-Age-Geschichte selten direkt angesprochen, schwelt aber unterschwellig mit: Augusts Welt ist die der schweigsamen Männer, die sich im 21. Jahrhundert nicht mehr zurechtfinden. Vielleicht kann ein Buch wie dieses die Gräben zwischen ihnen und dem Rest der Welt zumindest ein wenig kleiner machen.
Suhrkamp, 2021
378 S., 23 Euro
Aus d. Engl. v. Hannes Meyer
4. Tomasz Jedrowski: Im Wasser sind wir schwerelos
„Du hast mich auf eine Weise angesehen, die mir das Gefühl gab, nicht beurteilt zu werden. Im Leben begegnen wir nicht vielen Menschen, die uns dieses Gefühl geben.“ Nach André Acimans „Call me by your Name“ siedelt nun auch Tomasz Jedrowski eine große schwule Liebesgeschichte in den 80ern an – nur spielt sein Debüt nicht in einem von der Realität abgeschirmten Sommerhaus in Italien, sondern in Warschau. Ludwik und Janusz lernen sich beim obligatorischen Ernteeinsatz vor der Uni kennen, an einem verborgenen See im Wald verbringen sie glückliche Tage, doch zurück in der Stadt müssen sie ihre Liebe heimlich leben. Während sich Janusz den Spielregeln des sozialistischen Regimes anpasst und sogar mit der Tochter eines hochrangigen Offiziers anbandelt, ist Ludwik nicht bereit, Konformität vorzutäuschen. Jedrowski hat „Im Wasser sind wir schwerelos“ als einen langen Brief konzipiert, den Ludwik aus seinem Exil in den USA an Janusz richtet. Ludwik findet Worte für das Unausgesprochene zwischen den beiden, in extrem schlichter Sprache rekapituliert er ihre Beziehung – und es ist diese Zurückgenommenheit, die die emotionale Wucht des Romans ausmacht. Ihre starke Bindung bedarf keiner schwülstigen Rückversicherung. Und natürlich schafft es „Im Wasser sind wir schwerelos“ auf unsere Liste der besten Bücher im März 2021.
Hoffmann & Campe, 2021
224 S., 23 Euro
Aus d. Engl. v. Brigitte Jakobeit
3. Benedict Wells: Hard Land
Der Erwartungsdruck ist enorm: Mittlerweile sind sechs Jahre seit Benedict Wells’ großem Bestseller „Vom Ende der Einsamkeit“ vergangen. Zwischendurch erschien zwar noch eine Kurzgeschichtensammlung mit vornehmlich älteren Texten, doch jetzt gilt es: Was soll auf sein bewegendes und so wundersam pathosfreies Meisterwerk folgen, in dem er vom frühen Verlust der Eltern erzählt und Jules und seine beiden Geschwister über mehrere Jahrzehnte durch Einsamkeit und Selbstentfremdung begleitet? Es wirkt fast wie eine Kapitulation, wenn sich der 37-jährige Wells mit „Hard Land“ nun dem so überstrapazierten Coming-of-Age-Roman zuwendet und den 15-jährigen Sam Turner von den Monaten erzählen lässt, in denen er erwachsen wird. Zumal er ihm gleich einen ersten Satz in dem Mund legt, mit dem doch schon alles gesagt ist: „In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.“
Nur ein paar Seiten später wird dann auch der unvermeidliche „Fänger im Roggen“ erwähnt: In dem erzkonservativen, fiktiven Kaff Grady in Missouri steht Salinger Mitte der 80er wegen zu großer Freizügigkeit auf dem Schulindex. Doch es sind vor allem die Teenie-Filme jener Zeit, die Wells angetrieben und dazu bewogen haben, die USA als Handlungsort zu wählen: Das Geleitwort seines Romans stammt von Ferris Bueller aus „Ferris macht blau“, in der Einkaufspassage von Grady läuft mit „Don’t you“ von den Simple Minds überall der Titelsong aus „The Breakfast Club“, und als sie sich zusammen „Zurück in die Zukunft“ im Kino anschauen und die angehimmelte Kirstie von Marty McFly alias Michael J. Fox schwärmt, keimt in dem schmächtigen und extrem schüchternen Sam zum ersten Mal die Hoffnung auf, dass er vielleicht doch bei ihr landen könnte.
Ein erwartbarer Plot und ein schwer beackertes Feld: Wenn es Wells mit seiner bewährten Melange aus sensibler Figurenzeichnung und Humor gelingt, den Helden eben nicht zur Pappfigur werden zu lassen, und Sam inmitten der übermäßigen Referenzen bestehen kann, markiert das die bislang wohl größte Leistung des Bestsellerautors. Der Coming-of-Age-Roman mit Fokus auf den 80ern mag auserzählt sein. Aber erst jetzt. Es müssen noch Tränen vergossen werden, wenn Sam seine Mutter an den Krebs verliert. An der Seite seiner neuen Freunde gilt es Abenteuer zu bestehen, bei denen Sam gegen die eigenen Ängste kämpft. Und vor allem muss noch das größte der 49 Geheimnisse von Brady gelüftet werden. Benedict Wells und „Hard Land“ liegen auf Platz drei unserer Liste der besten Büchern im März 2021.
Diogenes, 2021
352 S., 24 Euro
2. Hengameh Yaghoobifarah: Ministerium der Träume
Nas erfährt, dass ihre Schwester Nushin bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Sie ist sich sicher: Es war Selbstmord. Während die Mittvierzigerin Nas die gemeinsame Geschichte der beiden Schwestern rekapituliert, ist sie zugleich in der Gegenwart gefordert: Nas muss sich um ihre 14-jährige Nichte Parvin kümmern, deren Vormund sie jetzt ist. Natürlich ist der Debütroman von Hengameh Yaghoobifarah so krawallig wie erwartet. Doch spektakulär ist „Ministerium der Träume“ noch aus einem weiteren Grund. „In der Zeit, als ich bereits aktiver an dem Roman geschrieben habe, gab es auch eine Anfrage von einem anderen Verlag, ob ich ein Sachbuch schreiben möchte. Aber ich hatte keine Lust auf autobiografische Essays oder irgendwas, was ich sowieso schon weiß und nur nochmal aufschreiben muss“, sagt Hengameh Yaghoobifarah im Interview mit kulturnews. „Ich hatte Bock auf eine Challenge, was so ein langfristiges Ding wie ein Roman für mich auf jeden Fall ist. Eine der Herausforderungen war eben auch, weniger zu erklären und mehr zu erzählen. Ich wollte mich in die Figuren einfühlen, statt immer nur metamäßig zu analysieren. Ich schreibe ja nicht nur meine Kolumnen, sondern auch andere Texte – und der Roman ist eben einer davon. Das ist vielleicht für einige Leute überraschend, die mich vor allem über meine Kolumnen kennen. Die haben dann vielleicht einen Comedyroman erwartet, ein Twentysomething-Berlin-Ding, das megafrech ist. In Berlin spielt der Roman zwar überwiegend auch – aber es ist dann doch ganz anders.“ So ist „Ministerium der Träume“ nicht nur ein wichtiger Roman, der Rassismus und Sexismus thematisiert und die Autorin so verzeigt zeigt, wie man sie kennt und schätzt. Mit ihrer feinfühligen und auch entlarvenden Figurenzeichnung gesteht Hengameh Yaghoobifarah ihren Charakteren auch Verletzlichkeit zu. Da überrascht es nicht, dass es „Ministerium der Träume“ auf den zweiten Platz unserer Liste der besten Bücher im März 2021 geschafft hat.
Hier lest ihr unser komplettes Interview mit Hengameh Yaghoobifarah zu „Ministerium der Träume“.
1. Mithu Sanyal: Identitti
Im Jahr 2015 verliert die vermeintlich afroamerikanische Bürgerrechtsaktivistin Rachel Dolezal ihren Lehrauftrag an der Eastern Washington University, als herauskommt, dass ihre Eltern beide weiß waren. Die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal überträgt diesen Fall nach Deutschland: In ihrem Debütroman fliegt auf, dass sich Sarah Vera Thielmann nach einer Hormonbehandlung und chirurgischen Eingriffen als Person indischer Herkunft ausgegeben hat und so zu Saraswati werden konnte, einer gefeierten Professorin für Postcolonial Studies an der Uni Düsseldorf. Ein Shitstorm bricht los, fast alle ihrer Student*innen fordern, Saraswati zu canceln, doch die 26-jährige Nivedita will in ihrer Wut auch verstehen, was die für sie so wichtige Mentorin angetrieben hat. Mit „Identitti“ entwirft Sanyal nicht nur einen vielschichtigen Diskurs über Identität und Rassismus. Mit tiefenscharfer Figurenzeichnung und viel Humor gelingt ihr bei allen Theorieverweisen auch ein extrem spannender, kurzweiliger Plot, der nicht zuletzt von den eingestreuten Tweets profitiert: Sanyal hat Kolleg*innen wie Fatma Aydemir, Ijoma Mangold und Hilal Sezgin um Twitter-Kommentare zu der von ihr erdachten Affäre gebeten. Und so führt „Identitti“ von Mithu Sanyal unsere Liste der besten Bücher im März 2021 an.
Hanser, 2021
432 S., 22 Euro
Hier geht es zu unserer Liste der besten Bücher im Februar 2021