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Hengameh Yaghoobifarah „Ich hatte Bock auf eine Challenge“

Hengameh Yaghoobifarah im Interview zu ihrem Bedütroman „Ministerium der Träume“
Foto: Tarek Mohamed Mawad

Natürlich ist Hengameh Yaghoobifarahs Debütroman „Ministerium der Träume“ so krawallig wie erwartet. Doch spektakulär ist er noch aus einem weiteren Grund.

Hengameh Yaghoobifarah, neben deinem Debüt veröffentlichen auch Mithu Sanyal und Sharon Dodua Otoo in diesen Tagen ihre Romane bei großen Verlagen. Endlich hat es einen Shift gegeben, und es erscheinen da nicht nur Bücher von weißen Cis-Männern, die immer wieder die gleiche Geschichte erzählen. Glaubst du, das ist nur eine kurzfristige Zeiterscheinung, oder bleibt das so?

Hengameh Yaghoobifarah: Ich wünsche mir und glaube auch, dass das jetzt nicht nur ein Hype ist. In der Literatur gibt es zwei Faktoren, die „erfolgsversprechend“ sind. Der eine ist: Wie verkauft sich das Buch? Und der andere Faktor ist eben auch die Innovation beim nächsten Roman. Ich bin mir bei uns dreien sicher, dass es noch weitere Geschichten geben wird, die nicht unbedingt an das anknüpfen, was wir jetzt geschrieben haben. Uns macht mehr aus als unsere Identitäten oder unsere Erfahrungen mit Rassismus und Sexismus. In erster Linie sind wir einfach Autor*innen, die interessante Geschichten erzählen können.

„Ich wollte mich in die Figuren einfühlen, statt immer nur metamäßig zu analysieren.“

Als dein Debütroman angekündigt wurde, gab es eine klare Erwartungshaltung: Der wird krawallig. Das ist „Ministerium der Träume“ auch – aber eben nicht nur. Die politischen Aspekte sind das Setting, aber wenn du aus der Perspektive der Mittvierzigerin Nasrin erzählst, stehen ganz universalistische Motive wie Verlust und Liebe im Mittelpunkt. Ist der Roman eine Möglichkeit für dich, nicht nur wehrhaft zu sein, sondern auch Verletzlichkeit zuzulassen?

Hengameh Yaghoobifarah: In der Zeit, als ich bereits aktiver an dem Roman geschrieben habe, gab es auch eine Anfrage von einem anderen Verlag, ob ich ein Sachbuch schreiben möchte. Aber ich hatte keine Lust auf autobiografische Essays oder irgendwas, was ich sowieso schon weiß und nur nochmal aufschreiben muss. Ich hatte Bock auf eine Challenge, was so ein langfristiges Ding wie ein Roman für mich auf jeden Fall ist. Eine der Herausforderungen war eben auch, weniger zu erklären und mehr zu erzählen. Ich wollte mich in die Figuren einfühlen, statt immer nur metamäßig zu analysieren. Ich schreibe ja nicht nur meine Kolumnen, sondern auch andere Texte – und der Roman ist eben einer davon. Das ist vielleicht für einige Leute überraschend, die mich vor allem über meine Kolumnen kennen. Die haben dann vielleicht einen Comedyroman erwartet, ein Twentysomething-Berlin-Ding, das megafrech ist. In Berlin spielt der Roman zwar überwiegend auch – aber es ist dann doch ganz anders.

„Wenn ich zehn Jahre zurückgehen könnte, würde ich nur unter Pseudonym schreiben, um privat meine Ruhe zu haben.“

Weil du die Dominanzgesellschaft mit Themen und Perspektiven konfrontierst, die unterrepräsentiert sind, bist du für dieses Land extrem wichtig. Diese Position würdest du vermutlich niemals aufgeben wollen, aber haderst du manchmal damit, was das alles mit dir und deinem Alltagsleben macht? Du bekommst Morddrohungen, musst umziehen, und wenn du auf Lesereise gehst, brauchst du Personenschutz …

Hengameh Yaghoobifarah: Wenn ich zehn Jahre zurückgehen könnte, würde ich nur unter Pseudonym schreiben, um privat meine Ruhe zu haben.

Hat es dir Angst gemacht, welche Dimensionen im letzten Jahr die Diskussion um deine Kolumne angenommen hat, in der du den Vorschlag gemacht hast, Polizisten auf der Mülldeponie zu entsorgen?

Hengameh Yaghoobifarah: Für mich war es eher unerwartet. Viele Leute denken ja, ich habe das extra provomäßig gemacht, um eine Debatte auszulösen. Das stimmt aber nicht. Ich fand den Text im Vergleich zu meinen anderen Kolumnen eher harmlos. Deswegen war ich entsetzt davon, wie sehr das Ding aufgeblasen wurde. Es war nicht Angst, sondern ich fand es krass, dass da so eine Scheindebatte geführt wurde, um von allem anderen abzulenken. Bezeichnend, wie sich die Leute auf eine Gelegenheit stürzen, um etwa statt über Polizeigewalt über Gewalt gegen Beamte zu sprechen.

„So wie sich Horst Seehofer äußert und politisch unterwegs ist, würde ich ihm zutrauen, dass er das Buch verbrennt.“

Aber hemmt das dann nicht doch? Du könntest ja jetzt auch deinem Verlag vorschlagen, Horst Seehofer oder der Polizeigewerkschaft ein paar Leseexemplare zu schicken, damit sie vielleicht wieder ein bisschen Promo machen.

Hengameh Yaghoobifarah: Ich habe das Buch nur ein paar Politiker*innen von der Linken geschickt, die auch von der NSU 2.0 bedroht werden. Da habe ich gehofft, dass es etwas sein kann, aus dem man Kraft schöpft. Aber ich denke, es würde nichts bringen, das Buch ins Innenministerium zu schicken. So wie sich Horst Seehofer äußert und politisch unterwegs ist, würde ich ihm zutrauen, dass er das Buch verbrennt. Was soll es bringen?

 

Nas erfährt, dass ihre Schwester Nushin bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Sie ist sich sicher: Es war Selbstmord. Während die Mittvierzigerin Nas die gemeinsame Geschichte der beiden Schwestern rekapituliert, ist sie zugleich in der Gegenwart gefordert: Nas muss sich um ihre 14-jährige Nichte Parvin kümmern, deren Vormund sie jetzt ist.

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