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Stöcke und Steine

Buchcover „Die Stille“ von Don DeLillo

Mit „Die Stille“ soll Don DeLillo die Pandemie vorweggenommen haben – obwohl Zoom-Meetings darin völlig unmöglich sind.

„Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im Vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“ Wer einem Roman dieses Einstein-Zitat voranstellt, macht damit ein ziemliches Fass auf. Als scharfsichtiger Sezierer der amerikanischen Gegenwart gilt Don DeLillo ohnehin schon seit Jahrzehnten, nun hat er gar die Gabe des Hellsehens erlangt: Sein neuestes Werk „Die Stille“, hieß es atemlos im Vorfeld des Erscheinens, habe Covid-19 vorweggenommen – denn DeLillo hat es bereits kurz vor Beginn der Pandemie beendet.

So viel Hype kann nicht guttun, insbesondere, weil der schmale Band nur etwa 100 Seiten hat, um ihm gerecht zu werden. Dabei gibt es in der Tat einige unheimliche Parallelen: In „Die Stille“ kommt die Welt urplötzlich zum Stillstand und stürzt die Menschen in eine tiefe Krise. Nur ist hier kein Virus der Auslöser, zumindest kein biologischer.

Im Jahr 2022 wollen Diane und Max, zwei New Yorker Akademiker*innen, eigentlich den Superbowl schauen, in Gesellschaft ihres ehemaligen Studenten Martin, einem Experten für Einsteins Relativitätstheorie. Plötzlich wird der Fernsehbildschirm schwarz, dann auch Computer und Smartphones, selbst das Festnetz ist tot. Ihre Freunde Jim und Tessa kommen gerade aus Europa zurück, als ihr Flugzeug im Landeanflug ins Taumeln gerät. New York ist lahmgelegt, die Lichter beginnen zu flackern. Der Grund für den Blackout ist unbekannt, und von Anfang an ist spürbar, dass DeLillo ihn uns nicht verraten wird: Ihm geht es um das beklemmende Kammerspiel, das nach dem Stromausfall zwischen seinen Figuren entsteht. Diese bleiben bei aller Nähe abstrakt und eigentümlich leer, ihre Konversationen sind abgehackt und kryptisch.

Doch in der Orientierungslosigkeit und Ohnmacht der Protagonist*innen findet man sich als lockdowngeplagte*r Leser*in ohne Weiteres wieder, auch wenn die fiktive Krise keinen Sicherheitsabstand erfordert. In gewisser Weise ist das Szenario von „Die Stille“ dem realen 2020 sogar diametral entgegengesetzt: Nie war digitale Kommunikation so zentral und unabdingbar wie im Jahr der Zoom-Meetings und Streaming-Konzerte. Aber genau diese Abhängigkeit nimmt der Autor aufs Korn, wenn er Max noch stundenlang auf den schwarzen Fernseher starren oder den Fluggast Jim obsessiv die irrelevanten Informationen wiederholen lässt, die ihm der Bildschirm in der Rückenlehne des Vordersitzes mitteilt.

Nimmt man den Menschen des 21. Jahrhunderts ihre digitalen Stützen, so die düstere Perspektive des Romans, bleibt nicht allzu viel von ihnen übrig. Der Physiker Martin sucht Halt in der Theorie, schwadroniert über dunkle Energie, Biowaffen und Hackerangriffe, bis seine Stimme einen deutschen Akzent bekommt. Er ist es auch, der als erster die These äußert, der Stromausfall könnte ein Vorzeichen des dritten Weltkriegs sein. Vielleicht, impliziert DeLillo, wusste Einstein nicht, welche Waffen darin zum Einsatz kommen werden, weil es gar keine Waffen braucht : Es reicht völlig, uns die Smartphones wegzunehmen. Dann sehen nämlich auch die Stöcke und Steine plötzlich wieder viel verlockender aus.

Mit „Die Stille“ hat es Don DeLillo auf unsere Liste der besten Bücher im Dezember geschafft.

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