Wie OG Keemo auf „Fieber“ den roten Faden durchtrennt
Das neue Album von OG Keemo und Funkvater Frank glänzt durch Ignoranz und flüchtige Form. Kämpft hier ein Rapper gegen sein eigenes Image?
Es ist ein grauer Januar-Nachmittag, und in einem zum Studio umfunktionierten Dachgeschoss irgendwo in Süddeutschland saugt Funkvater Frank, der aktuell wohl cleverste deutsche HipHop-Produzent, den graugrünen Teppichboden – live gestreamt auf YouTube. In der kommenden Nacht geht das neue Tape von ihm und OG Keemo online. Es sind die Stunden vor dem „Fieber“. Unweigerlich erinnert die Szenerie an einen YouTube-Livestream des britischen Rappers Slowthai, der sich im Januar 2023 für 24 Stunden in eine verglaste Kammer hat einsperren lassen. Mit nichts außer ein wenig Farbe, Papier und einem Bett. Anders als bei Slowthai – der übrigens nach acht Stunden genug hatte – ist dieser Stream aber kein artifizielles Experiment, sondern die einfache Vorbereitung auf einen gemütlichen Abend mit Live-Interview zum Album. Und als guter Gastgeber will man die von Monsterapflanze und skandinavischer Anrichte flankierte Kulisse nun mal ordentlich entstaubt wissen.
So lapidar und beiläufig dieser Staubsaug-Stream daherkommt, verhält es sich auch mit dem neuen Album des Duos: einfach machen und gucken, was passiert. Doch spulen wir kurz zurück. Als OG Keemo am 7. Januar 2022 sein Konzeptalbum „Mann beißt Hund“ veröffentlicht hat, waren sich alle einig: Das ist das Rapalbum des Jahres – wenn nicht sogar des Jahrzehnts. Es wurde von sprachlicher Sensibilität geschwärmt und vom detailverliebten Meisterwerk gesprochen. Den Superlativen waren keine Grenzen gesetzt. Doch wie geht man nun mit der Bürde eines Albums um, dessen Konzept einem selbst alles abverlangt hat und zugleich in unerreichbar kosmische Gefilde hochgeschrieben wurde? Die Antwort liefert das Duo mit „3 Ringe“, dem von Western-Mundharmonika durchzogenem Closer von „Fieber“. „Sie meint: ,Karim, wieso ist das Tape nicht deep?‘/Das ist wie ein Reboot, ich muss wieder lernen, wie man Musik liebt“, rappt Keemo. Und so ist „Fieber“ wie ein Befreiungsschlag. Eine Rückbesinnung auf das, warum Funkvater Frank und OG Keemo einmal angefangen haben, Musik zu machen. Ältere HipHop-Generationen würden sagen: Stift, Blatt, Beat.
„Fieber“ von OG Keemo: Konsequent und kohärent
Es ist der Closer, der das Tape erst zum Album werden lässt. Keemo rappt über Schreibblockaden, Erwartungsdruck und Zweifel, die ihn nicht erst seit „Mann beißt Hund“ begleiten und die vorangegangenen 33 Minuten angenehm ambivalent einfärben. Denn bis dahin ist „Fieber“ ein eher von breitbeiniger Ignoranz und lustigen Punchlines geprägtes Mixtape, das an DatPiff-Zeiten erinnert und zugleich einen sympathisch nerdigen J-Dilla-meets-The-Alchemist-Vibe versprüht: Kleine Sampleschnipsel fliegen durch die 19 Anspielstationen, Radio- oder TV-Mitschnitte dienen als Skits, Songstrukturen werden völlig ignoriert, und einzelne Songs sind als Remix, Interlude oder Freestyle gebrandet. Alles passiert ohne Grund. Konsequent und kohärent, trotz fehlendem roten Faden. In dieser totalen Freiheit wird der diebische Spaß, den die Zwei in ihrem Dachgeschoss gehabt haben müssen, geradezu greifbar. So erlaubt es die lose Form auch, dass sich Keemo über zwei Songs an seiner Abneigung gegenüber des Begriffs „Drip“ festbeißt und auf „Süden“ einen an Samy Deluxe erinnernden Flow als „Durag rockender, Yum-Yum-Nudeln kochender/Gut Geld machender und trotzdem Bootleg-Shoe-Game poppender, zuboxender N****“ über epische Choräle rotzt.
Manchmal reichen dann aber auch wieder bloß 56 Sekunden Rap („Boiler“), um alles zu sagen. Und die Featuregäste sind, wenn auch mitunter überraschend, unausweichliche Bestandteile der Songs und nicht bloße Zierde. So rappt Keemo etwa auf „Tiefschlaf“ nicht eine einzige Zeile selbst, sondern überlässt den Beat komplett seinem Kollegen Cgoon. Mit Souly, 2lade und Levin Liam sind drei aktuell hoch im Kurs stehende Undergroundkünstler auf dem Tape, die unterschiedlicher nicht sein könnten. PS Hitsquad grüßt mit einer rohen Neuauflage von „Guten Tag“ aus dem UK. Und mit Rin und Shindy geben sich zwei absolute Deutschrapschwergewichte die Ehre, wobei Keemos unerreichte Stärke in Sachen Delivery und wandelbarem Songwriting umso deutlicher wird: Auf „Pimpsport“ flaniert er etwa auf Augenhöhe mit Shindy über einen funkelnden Beat mit Y2K-Ästhetik. Rin wirkt auf „99 Grad“ neben Keemo sogar wie ein kleiner Junge, der sich sehr bemühen muss, den lässigen Rapper zu geben.
Mehr als auf Augenhöhe mit Rin und Shindy
Insgesamt ist „Fieber“ eine Demonstration der Skills, die das Duo über die letzten fünf Jahre perfektioniert hat. Die Produktion gleitet von verspielt knisternden, mit Animesamples dekorierten Soulbeats bis zu Jungle-Ausflügen und brodelnden Moshpit-Klatschen, und obwohl bei jedem weiteren Hördurchgang neue Mosaikstücke im Soundbild auffallen, macht die Produktion den Eindruck, als sei sie aus dem Handgelenk geschüttelt worden. Gleiches gilt für den Rap. So ist etwa auf „Tórshavn“ jede Zeile ein Treffer. Und wenn einer mit „Schwermetall in der Kiefergegend“ über seine Grills rappen kann, dann ist das OG Keemo. Es wäre ein Fehler, dieses Album mit seinem Vorgänger zu vergleichen, sind die Ansätze doch so verschieden. Obwohl Keemo im Outro bereits vorwegnimmt, es womöglich nie wieder allen recht machen zu können, ist es mit diesem Album immerhin gelungen, die stilistische Wandelbarkeit des Duos eindrucksvoll auszubreiten. Das Dachgeschossstudio von Staub befreit, hat sich nun auch OG Keemo des schweren Images als „Roter-Faden-Rapper“ entledigt, wie es Funkvater Frank zufrieden schmunzelnd im Livestream-Interview zwischen Monsterapflanze und skandinavischer Anrichte sitzend erklärt.