Gerhard Henschel in „Schauerroman“: Offene Liebe und Fußball
Gerhard Henschel garniert den neunten Band seiner autobiografischen Romanserie mit Alltagsschilderungen der frühen 90er-Jahre.
Gerhard Henschel präsntiert in „Schauerroman“, dem neuten Band seiner autobiografischen Romane, sein Alter Ego Martin Schlosser in großer Umtriebigkeit und mit enormem Output als Schriftsteller.
Gleichzeitig schickt Gerhard Henschel in „Schauerroman“ den Helden Martin schon auf den ersten Seiten in Berlin am 1. Mai zum „Autonomen-Spotting“, Martin trifft sich mit dem Cartoonisten Marcus Weimer alias Rattelschneck im Benno-Ohnesorg-Theater zur Lesung des Satirikers Wiglaf Droste, er arbeitet mit Kathrin Passig an der Nullnummer der geplanten Zeitschrift Schnurrende Traglast und lernt anlässlich eines Leipzig-Besuchs zur dortigen Buchmesse die Apothekerin Nicole kennen, mit der Martin erneut sein Prinzip der offenen Beziehung in der Praxis anwenden kann. Auch der „Schauerroman“ ist wie ein Speicher des Zeitgeistes – in diesem Fall von April 1992 bis April 1994. Offene Liebe, Fußballgucken im Stadion als sozialer Akt und Lesen am laufenden Band bestimmen das Leben des Helden.
Tod des Vaters: Zäsur in der Romanserie von Gerhard Henschel
In dieser Zeit stirbt Martin Schlossers Vater – darauf bezieht sich auch der Titel von Gerhard Henschels „Schauerroman“ –, womit eine Zäsur in der autobiografischen Romanserie eintritt: Bisher spielte die Handlung im Rahmen des Briefromans „Die Liebenden“ (2002 veröffentlicht), der das Leben von Martin Schlossers Eltern anhand von deren Briefen dokumentierte. Nicht zuletzt deswegen, so darf vermutet werden, hat Gerhard Henschel im Sommer noch einmal „Kindheitsroman“, den ersten Band seiner Romanreihe, in einer leicht erweiterten Fassung veröffentlicht.
Das schriftstellerische Durchstarten Henschels in dieser Zeit nimmt auch im Roman eine immer wichtigere Rolle ein. Ob bei der Edition Tiamat in Berlin oder im Verlag Weisser Stein in Greiz: Schlosser schreibt an satirischen Romanen und veröffentlicht Texte in unterschiedlichsten literarischen Kurzformen. Dann zieht Martin Schlosser nach Frankfurt und wird Redakteur des Satiremagazins Titanic.
Gerhard Henschels autobiografische Romanserie ist in Deutschland einmalig
Gerhard Henschel garniert diese Fakten in seinem stilistisch erneut an Walter Kempowski angelehnten Roman mit Alltagsschilderungen der frühen 90er-Jahre, die eingangs schon beispielhaft vorgestellt wurden. Sie werden immer wichtiger, denn der eh schon geschwundene Rückzugsort im Haus seiner Eltern und in den jüngsten Romanen nur noch seines Vaters: das Elternhaus im verhassten Meppen wird aufgelöst. Keine stundenlange Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften mehr in der elterlichen Badewanne, keine verhasste Gartenpflege mehr: Martin Schlosser wird sich neu ausrichten müssen, was eine spannende Fortsetzung dieser in Deutschland einmaligen autobiografischen Romanreihe verspricht. jw