„Das Leben eines Anderen“ von Keiichirō Hirano: Wer bin ich – und wenn ja, wie lange?
Mit „Das Leben eines Anderen“ legt Keiichirō Hirano keinen Krimi, sondern eine spannende Meditation über Identität vor.
In „Das Leben eines Anderen“ von Keiichirō Hirano geht es um Identitätstausch: Als Ries Mann Daisuke stirbt, kontaktiert sie seine entfremdete Familie – die ihn auf seinen Fotos nicht wiedererkennt. Ganz offenbar hat sich ein Fremder als Daisuke ausgegeben. Aber warum? Rie beauftragt den Anwalt Akira Kido mit der Suche nach Antworten. Der stößt auf ein Netzwerk aus Leuten, die miteinander die Identitäten tauschen. Je länger er nachforscht, desto faszinierter ist Kido: Er führt ein geregeltes Leben, hat einen kleinen Sohn, doch die Liebe zu seiner Frau ist erkaltet. Ist der Tausch mit dem Leben eines Fremden gar der Weg in die Freiheit?
Die Dramatik des Anfangs weicht schnell einem ruhigerem Tempo, bei dem Keiichirō Hirano vor allem Kidos systematischer Suche folgt. Ein wirkliches Vexierspiel bleibt aus: Dazu ist Hiranos Protagonist zu vernünftig, er reflektiert sein Interesse an den Lebenstauschen mit dem gehörigen Abstand. Es hängt mit seiner Herkunft zusammen, denn Kido ist ein Zainichi, ein Japaner koreanischer Herkunft, und sieht sich tagtäglich subtilem Rassismus ausgesetzt. Statt einem Kriminalfall liefert Hirano so einen Einblick in die politischen Bruchstellen seiner Heimat – und eine Meditation über Identität.