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„Blutbuch“ von Kim de l’Horizon gewinnt den Deutschen Buchpreis 2022

Buchcover „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon

Mit dem gnadenlos überfordernden Roman „Blutbuch“ verpasst Kim de l’Horizon dem Familienroman ein Update.

„Wie sehen Texte aus, wenn nicht ein menschliches Mustersubjekt im Zentrum steht und die Welt begnadet ins Förmchen goethet?“ In dem mit den Deutschen Buchpreis 2022 ausgezeichnetem Debüt „Blutbuch“ macht sich Kim de l’Horizon auf die derzeit wohl radikalste Identitätssuche in der Literatur – und das bedeutet eben auch, dass der bisherige Blick auf die Familie aufgearbeitet werden muss.

Eine nonbinäre Erzählfigur erinnert sich an die Kindheit in einem Berner Vorort und macht sich ausgelöst durch die Demenzerkrankung der Großmutter an eine ganz und gar eigenwillige Familienchronik. Ein Leitmotiv ist die vom Großvater im Garten gepflanzte Blutbuche: Der von seinem Umfeld als Junge gelesene Kim lässt sie in seiner Vorstellung in sich wurzeln, um die innere Leere zu füllen.

In „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon steht Analsex neben Derrida-Reflexionen, rauschhaftes Erzählen folgt auf verschwurbeltes und dennoch rauschhaftes Reflektieren.

Doch bleibt es nicht bei betulichen Kindheitserinnerungen: Immer wieder wechselt die Erzählfigur den Ton und die Perspektive. Als offen queer lebendes Subjekt sucht sie später die philosophische Durchdringung, spiegelt Fragilität und die Angriffe auf den nonbinären Körper durch die in der Kindheit gehörten Geschichten über Hexenverfolgung – und gebärt schließlich selbst in einem futuristischen Rap. Analsex steht hier neben Derrida-Reflexionen, rauschhaftes Erzählen folgt auf verschwurbeltes und dennoch hochinteressantes Reflektieren. Kim de l’Horizon selbst spricht von „écriture fluide“ – und der chaotische, so überfordernde Text funktioniert, weil er einer Dramaturgie des Erfühlens folgt.

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