Zum Inhalt springen

Kristen Arnett: Trauer ist ein ausgestopftes Tier

Portraitfoto Kristen Arnett schwarzweiß
(Foto: Maria Jones)

Zum Thema ihres Debütromans ist Kristen Arnett über Internet-Memes gekommen. Erst später ist ihr klargeworden, wie viel Bedeutung sich darin versteckt.

Kristen Arnett, ein zentrales Element deines Romans ist die Taxidermie. Dabei hattest du ursprünglich gar keine Ahnung davon, richtig?

Kristen Arnett: Genau, es hat eigentlich als Witz begonnen. Statt zu arbeiten habe mir im Internet oft schlechte Tierpräparationen angesehen, einfach weil ich sie lustig fand. (lacht) Irgendwann habe ich getan, was wohl alle kreativen Menschen tun: Ich habe mich gefragt, warum mich diese spezifische Sache so fesselt. Ich habe begonnen, sehr rudimentär zu recherchieren, und eine echte Obsession entwickelt. Es war ein viel größeres, komplexeres Thema, als ich gedacht hatte.

Die Beschreibungen der Ausstopfungen lesen sich unglaublich plastisch. Hast du auch selbst gelernt, wie man Tiere präpariert?

Arnett: Ich habe nicht ein einziges Mal selbst Hand angelegt. Aber ich hatte riesige Angst, dass eine Person, die selbst Tiere ausstopft, das Buch liest und erkennt, dass ich keine Ahnung habe. Ich hätte es gern selbst probiert, aber die Gelegenheit hat sich nie ergeben, denn Taxidermist:innen sind sehr verschlossen. Also habe ich bei jedem Tier – Waschbär, Reh, Vogel, Fisch – das im Buch präpariert wird, genau recherchiert, wie es ablaufen müsste. Und es hat sich gelohnt: Leute von dem Naturkundemuseum hier waren überzeugt, ich würde selbst Tiere ausstopfen. Das hat mich sehr stolz gemacht! (lacht)

Besonders interessant fand ich, dass die Taxidermie auch als Metapher für die Struktur der Geschichte dient.

Arnett: Das ist mir selbst erst ziemlich spät aufgefallen. (lacht) Als ich mit der ersten Fassung fast fertig war, ist mir klar geworden, dass die Taxidermie das ganze Buch bestimmt: Wie wir an Erinnerungen festhalten und versuchen, die Vergangenheit zu formen, Trauer, Nostalgie – das sind alles Formen von Taxidermie. Ich glaube, mein Gehirn arbeitet oft unbewusst im Hintergrund, ohne dass ich es mitbekomme.

Dafür passen Form und Inhalt erstaunlich gut zusammen.

Arnett: Am Anfang wusste ich nur drei Dinge über das Buch: Es würde von Tierpräparationen handeln, es würde in Florida spielen, und der Vater der Protagonistin würde sterben. Die Kapitel spielen abwechselnd in der Gegenwart, in chronologischer Reihenfolge, und in der Vergangenheit, die nicht linear erzählt wird, weil unser Gedächtnis nun einmal nicht so funktioniert. Man kann nicht entscheiden, wann man sich woran erinnert. Für mich hatte diese Struktur, mit zwei Linien übereinander, etwas vom Nähen – was den Kreis zurück zur Taxidermie schließt.

Kristen Arnett: „ In den USA haben die Leute gewisse Vorurteile über Florida, sie halten uns für verrückt oder oberflächlich.“

Zur Taxidermie hattest du anfangs gar keinen persönlichen Bezug. Was ist mit den anderen Themen?

Arnett: Das meiste von mir, das in dem Buch steckt, hat mit Florida zu tun. Ich sehe mich selbst als Florida-Autorin: Alles, was ich schreibe, ist mit diesem Bundesstaat verbunden. In den USA haben die Leute gewisse Vorurteile über Florida, sie halten uns für verrückt oder oberflächlich. Ich habe hier mein ganzes Leben verbracht und wollte mit dem Buch mein persönliches Florida aufzeigen: wie es hier riecht, wie die Luft sich anfühlt, was man nachts draußen hört.

Der Ort der Handlung hat sozusagen den Rest der Geschichte verankert?

Arnett: Die Familie im Roman ist ganz anders als meine eigene. Trotzdem haben sie sich für mich sehr wirklich angefühlt, wie typische Blue-Collar-Leute aus Florida. Ich mochte sie, selbst wenn sie anstrengend oder chaotisch waren – ich liebe es generell, wenn Dinge chaotisch sind. Jessa, die Protagonistin, ähnelt mir in gewisser Hinsicht, wir sind zum Beispiel beide lesbisch. Aber sie ist viel ernster als ich, versteht Witze oft nicht, und ich musste erst einen Zugang zu ihr finden. (lacht) Es ist ja auch mein erster Roman, also wusste ich sowieso meistens nicht, was ich tue.

Buchcover „Ziemlich tote Dinge“ von Kristen Arnett


Von klein auf vergöttert Jessa ihren Vater, einen Experten für Tierpräparation. Sein Suizid stürzt die Familie in eine tiefe Krise. Jetzt muss Jessa, die als einzige das Handwerk des Vaters beherrscht, das Geschäft retten – und sich gleichzeitig mit den skurrilen Blüten auseinandersetzen, die die Trauer ihrer Angehörigen treibt.

Beitrag teilen: