Raus aus der Finsternis
Die Art, wie Lana Bastašić in dem Debüt „Fang den Hasen“ Vergangenheit und Gegenwart verwebt, ist nur einer von vielen magischen Kunstgriffen.
Bosnien lässt Sara nicht los. Zwölf Jahre, nachdem sie nach Dublin gezogen ist, bekommt die Dichterin einen Anruf: Als Kinder waren sie und ihre beste Freundin Lejla unzertrennlich, seit Saras Weggang haben sie keinen Kontakt mehr. Jetzt will Lejla, immer noch in Bosnien, ihren lange verschwundenen Bruder in Wien aufgespürt haben und rekrutiert Sara für einen Roadtrip durch den Balkan. Die beiden Frauen könnten kaum unterschiedlicher sein: Lejla ist unangepasst und furchtlos, Sara brav und verträumt – aber beide tragen die Narben ihrer Geschichte. Die Art, wie Lana Bastašić in „Fang den Hasen“ Vergangenheit und Gegenwart verwebt, ist nur einer von vielen magischen Kunstgriffen in dem Debütroman: Im Hier und Jetzt, auf ihrer Fahrt im Opel Astra, spricht Sara von Lejla in der dritten Person, doch beim Blick zurück in die Zeit, als sie einander noch nahe waren, wird das „Sie“ wieder zum „Du“. Gemeinsam haben sie erlebt, wie der Bosnienkrieg in den 90er-Jahren ihre Stadt Banja Luka überrollt hat. Die Gewalt dieser Zeit verpackt Bastašić in Anekdoten, wenn etwa Lejlas Mutter sie auf einmal Lela nennt, weil ihr richtiger Name sie als muslimische Bosniakin ausweist. Ein Opfer der Unruhen ist eben Armin, Lejlas Bruder, in den Sara heimlich verknallt war. Poetische, surrealistische Bilder geistern durch den Kopf der Erzählerin; so ist der Himmel in Bosnien buchstäblich finsterer als im Rest Europas. Dass Saras detaillierte Erinnerungen denen von Lejla oft widersprechen, zeigt die Unmöglichkeit auf, je die ganze Wahrheit über das eigene Leben zu kennen. Statt einer touristischen Spritztour ist „Fang den Hasen“ Coming-of-Age-Story, Charakterstudie und Porträt unseres Kontinents in einem – und eine bitterernste Konfrontation mit der Tatsache, dass man manchen Schatten nicht entkommen kann.
Mit „Fang den Hasen“ hat es Lana Bastašić auf unsere Liste der besten Bücher im Mai 2021 geschafft.