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Lisa Krusche: Auf der Seite des Gefühlvollen

Lisa Krusche im Interview über ihren Roman „Unsere Anarchistischen Herzen“
(foto: Charlotte Krusche)

Kitsch und Künstlichkeit: Mit Lisa Krusches Debütroman „Unsere anarchistischen Herzen“ kommt die deutschsprachige Literatur endlich in der Gegenwart an.

Lisa Krusche, ich muss mich gleich mal als Boomer outen. Deine Protagonistin Gwen macht über eine App namens Rumblr Dates aus, um sich richtig heftig zu prügeln. Nach dem Roman habe ich die App gegoogelt – und sie existiert gar nicht, sondern ist die Erfindung einer Agentur, die damit vor ein paar Jahren auf sich aufmerksam machen wollte.

Lisa Krusche: (lacht) Ich habe die auch erst viele Jahre später entdeckt. Eine Meme-Seite, die ich voll gern mag, hat Memes aus Fotos dieser Agentur gemacht. Dann habe ich das recherchiert, denn ich wollte diese Prügelszenen und konnte sie damit noch erweitern.

Erzählst du in deinem Debütroman von zwei Teenagerinnen, weil du Protagonistinnen wolltest, die full body digital sind?

Lisa Krusche: Ich gehöre mit Anfang 30 ja eigentlich zu der letzten Generation, die auf der Kippe aufgewachsen ist, von gar kein Internet bis sukzessive immer mehr Internet. Der Hauptgrund, warum die so jung sind, ist aber der, dass mich die Eltern-Kind-Beziehungen interessiert haben. Was bedeutet das eigentlich, wenn man diese Elternhäuser hat, die die beiden haben? Ich wollte, dass sie noch in einer relativ starken Abhängigkeit zu ihren Eltern stehen. Wenn man erstmal auszieht und eine Distanz aufbaut, ist das ja doch eine andere Ausgangslage.

Charles zieht mit ihren gescheiterten Künstler-Eltern aus Berlin zu Freunden in eine Art Hippie-Kommune. Dort in Hildesheim lernt sie Gwen kennen, die unter ihren superreichen Eltern leidet und sich selbst verletzt, indem sie sich etwa prügelt oder sich über Tinder mit schmierigen Typen trifft, denen sie nach den Dates Geld klaut. Selbst bei Charles‘ Vater, einem egomanen Künstler-Dude, lässt du Zwischentöne zu – doch Gwens Eltern verweigerst du die und zeichnest sie als Monster.

Lisa Krusche: Das ist wohl eine Wertung meinerseits, die vielleicht nicht ganz korrekt ist. (lacht) Obwohl, wenn man supergenau hinschaut, werden sich vermutlich auch die Menschen dahinter auftun. Aber es gibt einfach Personen, die geben sich alle Mühe, das durch ihre menschenfeindlichen Ansichten und ihre Herzenskälte zu verbergen.

Erzählt wird die Geschichte abwechselnd von Gwen und Charles, die auch vor Pathos nicht zurückschrecken. Hast du einen Kitsch-Detektor implementiert, oder wie gelingt es dir, dass diese Großgestigkeit so ergreifend ist und nie ins Unangenehme kippt?

Lisa Krusche: Nee, ich finde Kitsch auch nicht so schlimm. Kitsch und Pathos sind so negativ besetzte Worte – aber ich sehe das gar nicht so kritisch. Zumindest würde ich mich erst mal auf die Seite des Gefühlvollen stellen. Aber meine Figuren können ja auch manchmal über sich selbst lachen, selbst in diesen Gefühlsaufwallungen. Vielleicht ist es das, was es dann einfängt.

Du arbeitest ja auch mit einer gewissen Künstlichkeit, indem du etwa Übersetzungen von Songtexten und Twitter-Poesie einbaust, die sich durch Kleinschreibung vom restlichen Text absetzt.

Lisa Krusche: Mir geht es nicht um einen realistischen Eins-zu-eins-Abdruck der Welt. Wenn ich darauf aus wäre, würde ich wohl mit einem ganz anderen Medium arbeiten. Diese Künstlichkeit interessiert mich, und finde es auch superspannend, diese zweite sprachliche Ebene da mit reinzunehmen. Diese Person twittert, und daraus ergibt sich eine eigene Metaebene im Sprechen über das eigene Leben.

Geht es für dich als Autorin dann auch darum, Angebote zu machen, mit denen diese Künstlichkeit von den Leser*innen durchbrochen werden kann? Jahrelang hat Lana Del Rey mich kaltgelassen. Ich mochte ihre Songs, aber sie war für mich zu sehr Oberfläche und Kunstfigur, um da wirklich emotional anzudocken. Bei „Norman Fucking Rockwell!“ ist das dann plötzlich komplett aufgebrochen – und ich heule immer noch, wann immer ich diese Platte höre.

Lisa Krusche: Verhindert Künstlichkeit, dass man den Figuren nahekommt? Wenn die Oberflächen zu dicht sind, wenn sie so künstlich sind, dass man nicht dahinterkommt, dann braucht es vielleicht schon Risse. Vielleicht kann ich die Frage offenlassen und da einfach noch ein Zitat des Philosophen Marcus Steinweg mit reingeben: „Immer geht es darum, die Risse im Realitätsgefüge statt zu schließen offenzuhalten, denn sie indizieren die Offenheit unserer Welt.“

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