„An der Grasnarbe“ von Mirjam Wittig: Schafgestellt
In ihrem Debütroman „An der Grasnarbe“ erzählt Mirjam Wittig einfühlsam von einer jungen Frau, die aus der Großstadt aufs Land flieht.
Noa weiß, dass ihre Panikattacken, bei denen sie einen tödlichen Terroranschlag herbeifantasiert, irrational sind. Aber los wird sie sie trotzdem nicht. Also verlässt sie die Stadt und heuert als freiwillige Helferin auf einem Bauernhof in Südfrankreich an, um Schafe zu hüten. Bald ist sie für Ella, Gregor und vor allem ihre Tochter Jade fast ein Teil der Familie. Doch der Alltag ist hart, und das sich verändernde Klima erschwert ihn zusätzlich: Das Gras ist gelb, die Erde voller Risse. Nicht nur Noa, auch ihre Gastgeber:innen blicken in eine ungewisse Zukunft … Das Romandebüt „An der Grasnarbe“ von Mirjam Wittig umreißt das Bergpanorama, den Klang des Wassers und den Geruch der Schafe mit plastischer Sprache, für eine Verklärung des Landlebens ist es jedoch zu vielschichtig.
Das geht bei Noa los: Sie ist die liebevolle Freundin der Geschwister Aseel und Mejet, die nach Deutschland geflohen sind, hat aber zugleich Angst vor dunkelhäutigen Männern mit Bart – und hasst sich dafür. Wenn die Panik Noa die Luft abschnürt, wird auch die Prosa von Mirjam Wittig in „An der Grasnarbe“ abgehackt und stumpf. Auf dem Hof gibt es keine U-Bahnschächte oder Menschentrauben, aber vermeidet Noa hier nicht nur ihre Ängste, anstatt sich damit auseinanderzusetzen? Neben der Selbstfindung der Ich-Erzählerin thematisiert „An der Grasnarbe“ weitere große Themen: Klimakatastrophe, Familienmodelle, Freundschaft, Politik. Das Beeindruckende: Nichts davon fühlt sich forciert an, Noas Gedanken, ihre Konversationen mit anderen klingen echt und unverfälscht – vielleicht, weil die Autorin selbst Zeit auf einem Bauernhof in den Bergen verbracht hat. Nach der Lektüre bekommt man Lust, es ihr gleichzutun.