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Baby mal zwei: „Parallele Mütter“ mit Penélope Cruz bei Arte

Parallele Mütter Arte
Janis (Penélope Cruz, re.) bringt Ana (Milena Smit, li.) das Kochen bei. (Foto: © El Deseo/Iglesias Mas)

Janis und Ana weden beide Mutter, und beide haben keinen Mann. Die Frauen halten zusammen – bis ein furchtbarer Irrtum ans Tageslicht kommt …

Wenn es wirklich noch eines Beweises bedurfte, was für ein begnadeter Filmemacher Pedro Almodóvar ist: „Parallele Mütter“ liefert diesen Beweis. Wie der spanische Regisseur hier weibliches Empowerment, erzählerische Wendungen, die jeden raffinierten Thriller übertreffen, und die Pflege historischer Wunden eines Landes vereint – das ist nichts anderes als eine Sensation. Und dabei dachte man schon bei Almodóvars letztem Film, dem sehr autobiografischen „Leid und Herrlichkeit“ über einen von körperlichen Schmerzen und kreativer Blockade geplagten Regisseur: Ist das ein Abgesang auf sich selber? Pustekuchen – Almodóvar ist so frisch und fokussiert wie auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Höchstens weniger schrill.

Fotografin Janis (Penélope Cruz) kann aufatmen: Die sterblichen Überreste ihres während des Spanischen Bürgerkriegs von faschistischen Franco-Anhängern ermordeten Urgroßvaters wurden gefunden. Eine Umbettung an die Seite der Urgroßmutter ist nun endlich möglich, die offene Wunde kann endlich heilen. Der forensische Anthropologe Arturo (Israel Elejalde) leitet die Ausgrabung, er und Janis beginnen eine Affäre. Ein paar Monate später ist Janis schwanger, der verheiratete Arturo aber will nichts davon wissen und zweifelt seine Vaterschaft an. Janis, nicht umsonst von ihren Hippeeltern nach der Freiheits-Ikone Janis Joplin benannt, will das Kind ganz zuversichtlich alleine großziehen – und lernt vor der Entbindung im Krankenhaus die junge Ana (Milena Smit) kennen. Ana ist nicht so zuversichtlich, was ihre Mutterschaft angeht, wir erfahren später den sehr ernsten Grund dafür. Janis und Ana wollen in Kontakt bleiben, was dazu führt, dass Janis in ein moralisches Dilemma gerät – und eine furchtbare Lüge gegenüber Ana lebt …

„Parallele Mütter “ bei Arte: Virtuoses Kino

Ja, und ab hier darf man über den Fortgang der Handlung von „Parallele Mütter “ eigentlich nichts mehr verraten, um die Qualitäten dieser Mischung aus Melodram, Drama, Liebesfilm und historischer Aufarbeitung nicht zu mindern. Denn der Spanier führt seine Geschichte keinesfalls in die durchaus zu erwartende #MeToo-Richtung „Zwei unabhängige, von toxischen Männern verlassene Frauen schließen einen weiblichen Bund“. Natürlich gibt es Zusammenschlüsse, aber ganz anders, als gedacht. Almodóvar führt seine beiden Protagonistinnen weit über die Opferrolle hinaus; vor allem Janis wird immer mehr zur Täterin – Almodóvars erzählerische Twists sind dabei genau wie seine in Rot, Gelb, Grün und Blau gehaltenen Innenräume nah an der Seifenoper. Sie sind jedoch so präzise gesetzt, narrativ legimtimiert, ohne jede Scheu vor drastischer Tragik und kommen so fulminant aus dem Nichts – da drückt es einen vor Begeisterung gleichzeitig in den Kinosessel und schiebt einen vor Spannung an den Rand des Sitzes. Es ist beeindruckend, wie virtuos dieser Film auf der Klaviatur der Kinokunst spielt.

Und es ist faszinierend zu sehen, wie Almodóvar es gelingt, einen Film mit 85 Prozent weiblichen Figuren zu machen, der zu keinem Zeitpunkt ideologisch oder exkludierend wirkt. Männer haben hier keinen Platz, weil sie ihren Platz nicht wollen – was nicht heißt, dass sie allesamt Schufte sind. Almodóvars Frauen kamen schon immer gut ohne Kerle aus – was nicht bedeutet, sie wollen keine an ihrer Seite haben. Janis, von Almodovars Muse Penélope Cruz glänzend und vielschichtig verkörpert, ist Oper und Täterin zugleich, während Ana, von Milena Smit verletzlich und unschuldig gespielt, spät einen Weg findet, in der Beziehung zur älteren Janis die Machtposition zu erlangen. Die weiteren Frauenfiguren sind ebenfalls komplex: Die kinderlose Auftraggeberin von Janis (Almodóvar-Größe Rossy de Palma) hat mehr Mutterinstinkt als Janis, und Anas Mutter Teresa (-) ist meist abwesend, weil sie lieber die späte Karriere als Schauspielerin auskostet – das blieb ihr als junge Mutter und Ehefrau verwehrt. Almodóvar versteht die Crux von Theater- und Filmleuten, die ständig zwischen Selbstverwirklichung und Familienglück entscheiden müssen.

Man möchte, dass Pedro Almodóvar ewig weiter Filme dreht. Da dies leider nicht so sein wird, genießen wir seine Werke solange wir können – es wird nämlich nichts Vergleichbares nach ihm geben.

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