Das Unsägliche
„Die Sommer“ von Ronya Othmann ist sehr viel mehr als nur ein autobiografischer Coming-of-Age-Roman, der die Zerrissenheit und die Identitätssuche seiner Protagonistin ins Zentrum stellt.
Im letzten Jahr gewann Ronya Othmann mit ihrem Text „Vierundsiebzig“ beim Bachmann-Wettbewerb nicht nur den Publikumspreis, ihr erschütterndes Protokoll über den 2014 vom IS verübten Völkermord an kurdischen Jesiden in Syrien löste bei der Jury auch eine heftige Debatte über das Unsägliche und die Grenzen der Literaturkritik aus. Diese Diskussion kontert die 27-jährige Autorin und Journalistin nun mit einem autobiografischen Romandebüt, das zunächst die Zerrissenheit und die Identitätssuche einer Protagonistin mit Migrationshintergrund in den Mittelpunkt rückt.
Leyla wächst als Tochter einer Deutschen und eines jesidischen Kurden in München auf, verbringt aber die Sommerferien jedes Jahr im Dorf ihrer Großeltern in Nordsyrien. Atmosphärisch dicht erzählt sie vom archaischen Leben im Dorf und der engen Bindung zur religiösen Großmutter, doch von Sommer zu Sommer mischt sich in den kindlichen Blick ein Verstehen. Leylas Vater, der nicht für Assads Geheimdienst arbeiten wollte, erzählt ihr von seinen Entbehrungen, der lebensgefährlichen Flucht nach Deutschland und der jahrelangen Verschleppung seines Asylantrags. Später müssen auch die Großmutter und der Rest der Familie die Heimat verlassen, und Leyla ist Studentin in Leipzig, als sie die Zerstörung Aleppos und die Massaker des IS im Internet verfolgt. So ist „Die Sommer“ von Ronya Othmann eine ergreifende Coming-of-Age-Geschichte, die ohne das Unsägliche eben leider nicht auskommt.