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Sasha Filipenko: Auch das Koma hilft nicht

Sasha Filipino, Autor von „Der ehemalige Sohn“
Foto: Lukas Lienhard / Diogenes Verlag

Mit „Der ehemalige Sohn“ hat Sasha Filipenko einen Roman zur politischen Situation in Belarus geschrieben, der nicht zuletzt durch seinen bitteren Humor überzeugt.

Angesichts der nicht abreißenden Proteste gegen die Wahlfälschungen von Präsident Alexander Lukaschenko und den Bildern eskalierender Staatsgewalt liest sich der „Der ehemalige Sohn“ wie ein Schlüsselroman zur gegenwärtigen Situation in Belarus – dabei hat Sasha Filipenko sein Buch bereits 2014 veröffentlicht. „Zum Glück oder zum Unglück haben die Ereignisse von 2020 wieder einmal gezeigt, dass ich bei meiner Beschreibung des ins Koma gefallenen Belarus ehrlich mit mir selbst und mit meinen Leser war“, schreibt der 36-Jährige im Vorwort der gerade erschienenen deutschen Übersetzung. „Dieses Buch ist ein Versuch zu analysieren, warum mein Land eines Tages in einen lethargischen Schlaf sank, aus dem es scheinbar gar nicht wieder aufwachen wollte. Dieses Buch ist (zumindest hoffe ich das) eine Erklärung dafür, warum die Belarussen 2020 nicht mehr weiterschlafen wollten und aus ihrem Koma erwachten.“

An der Macht ist immer noch ein autoritärer Präsident, jeder Protest wird gewaltsam niedergeschlagen, und wer jung ist, nutzt die erstbeste Chance, um das Land zu verlassen.

Eigentlich soll der 17-jährige Franzisk Cello üben, um den drohenden Rauswurf aus dem Konservatorium noch abzuwenden. Doch er ringt seiner Großmutter die Erlaubnis ab, zu einem Rockkonzert in der Innenstadt von Minsk zu gehen. Als er an der U-Bahn-Haltestelle auf seine Freundin wartet, setzt plötzlich heftiger Regenfall ein, und es kommt in der Unterführung zu einer Massenpanik, bei der Jugendliche totgetrampelt werden und auch Franzisk verletzt wird. Der Junge fällt ins Koma, und während ihn die Ärzte, seine Freund*innen und auch seine Mutter bald aufgeben, hält seine Großmutter an der Hoffnung fest, dass Franzisk wieder erwacht. So zieht die Übersetzerin Elvira Alexandrowna quasi in das Krankenzimmer ihres Enkels ein. Sie erzählt ihm alle Neuigkeiten von der Welt da draußen, spielt ihm Musik vor, zeigt ihm Filme und liest ihm aus Büchern vor.

Doch die Jahre vergehen und erst kurz nach dem Tod der Großmutter geschieht das Wunder: Franzisk wacht aus dem Koma auf. Im privaten Umfeld hat sich in den verpassten zehn Jahren viel verändert: Franzisk muss nicht nur den Verlust seiner geliebten Großmutter verkraften, seine Mutter hat inzwischen einen Arzt geheiratet, der am liebsten die lebenserhaltenden Geräte schon vor Jahren abgeschaltet hätte, sich im Nachhinein aber für das medizinische Wunder feiern lässt, und seine ehemalige Freundin Nastja ist längst mit einem seiner besten Freunde liiert. Doch Belarus an sich ist Franzisk nach all der Zeit noch schmerzhaft vertraut: An der Macht ist immer noch ein autoritärer Präsident, jeder Protest wird gewaltsam niedergeschlagen, und wer jung ist, nutzt die erstbeste Chance, um das Land zu verlassen.

Der Roman von Sasha Filipenko besticht durch einen wunderbaren, tiefschwarzen Humor

Mit „Der ehemalige Sohn“ klagt Sasha Filipenko sein Heimatland an. Besonders die Berichte der Großmutter legen viele Kontinuitäten bloß, und es ist den ausführlichen Anmerkungen der Übersetzerin Ruth Altenhofer zu verdanken, dass auch deutsche Leser*innen die zahlreichen Anspielungen auf reale Hintergründe verstehen. Doch so unnachgiebig und kämpferisch sich Filipenko hier auch zeigt, besticht sein Roman nicht zuletzt durch einen ganz wunderbaren, tiefschwarzen Humor. So konfrontiert er etwa die Großmutter am Bett ihres seit Jahren im Koma liegenden Enkels mit einer Visite junger Ärzte.

„Elvira Alexandrowna, ich mache hier nur meine Arbeit! Haben die Herrschaften sonst noch Fragen?“

„Ja, ich. Die Verwandte soll sagen, ob ihr Enkel im Jugendverband ist, in der Republikanischen Jungen Union.“

„Natürlich nicht!“

„Dann hab ich noch eine Frage, darf ich? Wäre es ihnen recht, wenn wir ihn da reintun? Na ja … einschreiben?“

„Er braucht Ruhe, gehen sie jetzt!“

„Was haben Sie gegen meine Frage?“

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