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Ewige Krise

„Reich des Todes“ feiert Premiere am Schauspielhaus.
(Foto: Arno Declair)

Die Coronapandemie ist auch ein Sprungbrett für Autokraten. Am Deutschen SchauSpielHaus in Hamburg inszeniert Karin Beier Rainald Goetz’ „Reich des Todes“, das die Feldzüge der Bush-Regierung behandelt. Chefdramaturgin Rita Thiele über ein prophetisches Stück.

Frau Thiele, wieso 2020 ein Stück, das sich mit dem „War on Terror“ beschäftigt? Was ist die aktuelle Relevanz dieser Thematik?

Rita Thiele: Nun, wir befinden uns ja noch mitten in diesem Krieg. Die „Kriegserklärung“ von George W. Bush nach den Anschlägen von 9/11 war sozusagen der Startschuss für eine unheilvolle Antiterrorstrategie der amerikanischen Regierung, die bis heute massive innen- und außenpolitische Konsequenzen hat, vom geheimdienstlichen Überwachungsstaat, was die eigenen Bürger*Innen anbelangt, bis zur katastrophalen instabilen politischen Lage im Nahen Osten. Zudem zeigt die Reaktion der Bush Administration geradezu exemplarisch, wie Regierungen mitunter Krisen auszunutzen suchen, um in vermeintlich patriotischem Eifer und Furor die eigene Herrschaft autoritär auszubauen und damit Demokratiezerstörung zu betreiben.

Die wievielte Goetz/Beier-Kollaboration ist „Reich des Todes“ am Deutschen SchauSpielHaus? Was zeichnet diese Arbeiten aus?

Thiele: Für Karin Beier ist es das erste Stück von Rainald Goetz, das sie inszeniert. Allerdings verbindet Rainald Goetz eine lange Geschichte mit dem Deutschen Schauspielhaus. Seit 1993, der Uraufführung von „Kritik in Festung“ in der Inszenierung von Anselm Weber hat es weitere vier Inszenierungen gegeben: „Festung“, Regie: Wilfried Minks, 1994; „Katarakt“, Regie: Christoph Nel, ebenfalls 1994, „Krieg“, Regie wieder Anselm Weber 1998 und zuletzt die Uraufführung von „Jeff Koons“, Regie: Stefan Bachmann 1999. Seitdem, also seit über 20 Jahren, hat Rainald Goetz ausschließlich Prosa, kein Theaterstück veröffentlicht. Umso mehr haben wir uns gefreut, dass der Suhrkamp Verlag Karin Beier explizit um die Uraufführungsinszenierung gebeten hat.

Ist „Reich des Todes“ die erste Uraufführung nach der Pandemie? Inwiefern hat das den Prozess verändert?

Thiele: Es gab zwei Premieren, darunter eine Uraufführung, nämlich Coolhaze von Studio Braun (die andere Arbeit war “Café Populaire“ von Nora Abdel Maksoud, inszeniert von Sebastian Kreyer), die ihre Endproben bereits hatten, deren Premieren dann aber dem „Shut down“ zum Opfer fielen. Wir hoffen diese Arbeiten im Laufe dieser Spielzeit nachholend präsentieren zu können. So ist „Reich des Todes“ tatsächlich die erste Arbeit und Uraufführung, die wir nach der Spielpause zeigen.

„Inhaltlich war dieses Stück ein Geschenk“

Inhaltlich war dieses Stück ein Geschenk, denn auch die Pandemie ist eine Krise, die Autokraten für sich auszunutzen suchen. Was den Inszenierungsprozess anbelangt, versuchen wir unser Ensemble durch bestimmte gesundheitliche Auflagen zu schützen. Dazu gehören auch Dinge, die die Zuschauer*innen erkennen werden: Abstandsregelungen, die eingehalten werden, andere Szenen, die nur mit Mund-Nasenschutz gespielt werden. Das ist bei diesem Stück ebenso wie bei unserer anderen Eröffnungspremiere „Wir haben getan, was wir konnten“, über das deutsche Gesundheitssystem, inszeniert vom Regisseur und Arzt Tugsal Mogul, kein größeres Problem. Schwieriger wird es bei psychologischeren Stoffen. Auch unser Publikum wird sich, solange die Gefahr nicht gebannt ist, an einen relativ leeren Zuschauerraum und einige neue Regeln gewöhnen müssen. Aber wir freuen uns sehr, dass wieder eine direkte Begegnung zwischen Schauspieler*Innen und Publikum möglich ist. Nur das kann sinnvolles Theater sein!

Was kann das Theater in Krisenzeiten für die Gesellschaft leisten? Kann es sich gegen Autokratie wehren?

Thiele: Seit der Antike bietet das Theater etwas, das gerade in diesen Zeiten wichtig ist: einen öffentlichen Raum, in dem zentrale politische und gesellschaftliche Fragen aufgeworfen und diskutiert werden. Die politischen Antworten und Konsequenzen liegen beim Publikum, aber sind die Zeiten sehr finster – wie z.B. kurz vor dem Zusammenbruch der DDR – können Theater zu Brandherden werden. Ich werde nie vergessen, wie ich als „Westlerin“ ein Publikumsgespräch im Deutschen Theater nach einer regulären „Maria Stuart“ Aufführung kurz vor der „Wende“ erlebte. Das war eine Geburtsstunde der Demokratie.

Interview: Matthias Jordan

„Reich des Todes“ wird am 11. 9. am Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt. Tickets gibt es auf der Webseite.

Unten finden sich die kommenden Termine. Die Aufführungen beginnen jeweils um 19.30 Uhr und dauern bis 23.30 Uhr.

Termine

  • Samstag, 19. 9.
  • Freitag, 2. 10.
  • Donnerstag, 15. 10.
  • Freitag, 30. 10.
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