Schiller mit Orchesteralbum „Epic“: Ab ins Fantasia-Land
Schiller sehnt sich nach Kunst ohne Botschaft und sucht sich ungewohnte Verstärkung, um der Realität zu entfliehen.
Christopher, für „Epic“ hast du als Schiller zum ersten Mal durchgängig mit einem ganzen Orchester arbeitest. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Christopher von Deylen: Schiller hat sich über die Jahre in einen Klangkosmos verwandelt, in dem zum Glück alles möglich ist. Nachdem ich mit „Summer in Berlin“ ein sehr elektronisches Album gemacht habe, hat es sich spannend angefühlt, das komplette Gegenteil davon zu machen. Da bin ich auf die Kombination von Elektronik und Orchester gestoßen, die ich in der Vergangenheit zwar immer mal wieder ausprobieren konnte, aber jetzt erstmals als wirklich stilprägende Kombination nehmen wollte.
Das war sicher mit ganz neuen Herausforderungen verbunden.
von Deylen: Ich bin es eigentlich gewohnt, parallel zu arbeiten: Bei rein elektronischer Musik kann ich noch während des endgültigen Mixes Dinge verändern. Das geht mit einem Orchester natürlich nicht. Ich habe alles komponiert, lange bevor die Aufnahmen überhaupt stattgefunden haben. Der Point of no Return hat also viel früher stattgefunden als sonst. Das war schon eine besondere Herausforderung.
Schiller über „Epic“: „Ich habe die Stücke als Orchesterstücke angelegt, um sie hinterher durch den Schiller-Klangkosmos einrahmen zu lassen.“
Wie kombiniert man Klassik mit Elektronik, ohne dass ein Element überwiegt?
von Deylen: Ich habe die Stücke als Orchesterstücke angelegt, um sie hinterher durch den Schiller-Klangkosmos einrahmen zu lassen. Das ist etwas anderes, als erst die Schiller-Stücke aufzunehmen und später das Orchester als Klangfarbe hinzuzufügen, wie ich es früher schon ein paar Mal gemacht habe. Es war schwieriger als gedacht, weil ein Orchester von vornherein schon als rahmenfüllendes Element angelegt ist und ich für die Elektronik, den zweiten Hauptdarsteller, erst einen Platz finden musste. Zum Beispiel habe ich gemerkt, dass große Synthesizerflächen, mit denen ich sonst arbeite, der Orchesteraufnahme die Luft abgeschnürt haben – weil beide dieselbe Rolle erfüllen. Wie Annette Humpe einmal zu mir gesagt hat: Popmusik ist die Kunst des Weglassens. Dem kann man nur zustimmen, aber man braucht dafür viel Disziplin. (lacht)
Eine Inspiration für „Epic“ war Filmmusik. Gab es konkrete Filme oder Filmemacher:innen, die Pate gestanden haben?
von Deylen: Eigentlich nicht. Das schönste Geschenk wäre es für mich, wenn das Album bei jedem Hörer ein eigenes Kopfkino verursacht. Ich finde es fantastisch, wenn man für die Länge eines Films oder eines Albums in eine andere Welt wandern kann. Vor 20 Jahren gab es noch das Schlagwort Chill-out: ein Lifestyle, der darauf beruht, sich einen Kontrapunkt zum Alltag zu setzen und es mal locker zu nehmen. Mittlerweile scheint es zusätzlich zum individuellen Alltag mit all seinen Problemchen, von dem wir uns alle gern mal eine Auszeit nehmen, eine Art Meta-Alltag zu geben: Alle fühlen sich latent sorgenvoll und leicht angespannt.
Es ist auf jeden Fall schwieriger, die Probleme auf der Welt zu ignorieren.
von Deylen: Der Bedarf an Eskapismus ist eher größer geworden. Aber oftmals wird vieles, was eigentlich Eskapismus sein könnte oder sollte – wie Musik oder Filme – mit Messages aufgeladen. Politische Kunst gab es natürlich schon immer, aber zurzeit gehört es zum guten Ton, über das Werk hinaus einen politisch-gesellschaftlichen Mehrwert mitzuliefern. Persönlich mag ich das nicht so gerne: Wenn ich mich einem Film, einer Platte oder einem Buch zuwende, mache ich das ja gerade, weil es eine Parallelwelt ist. Ich finde ich es ehrlicher und authentischer, wenn man sich wirklich eine Stunde dem Fantasia-Land hingibt. Daher würde es mich wahnsinnig freuen, wenn der geneigte Zuhörer seiner eigenen Fantasie ungestört freien Lauf lassen kann.