„Eine andere Epoche“ von Ulf Erdmann Ziegler: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Ulf Erdmann Ziegler erzählt in „Eine andere Epoche“ von den NSU-Morden und installiert hierfür einen fiktiven Bundestags-Büroleiter.
Wie kurz das politische Gedächtnis ist: Gerade einmal zehn Jahre ist es her, dass der NSU sich zu seinen rassistischen Morden bekannt und die deutschen Sicherheitsbehörden in eine tiefe Krise gestürzt hat. Doch fühlt es sich nicht viel länger an? „Eine andere Epoche“ von Ulf Erdmann Ziegler spielt im Winter nach dem Skandal, erzählt wird aus der Sicht des Bundestags-Büroleiters Wegman Frost.
Während Zieglers Protagonist fiktiv ist, spickt er den Rest des Romans mit Verweisen auf die Realität: Seine Figuren werden nicht nur mit dem NSU, sondern auch mit der Bestechlichkeitsaffäre um den Bundespräsidenten Christian Wulff konfrontiert, Politiker wie Christian Rösler oder Sebastian Edathy treten als verfremdete Versionen ihrer selbst auf. Doch Ziegler liefert weitaus mehr als eine Fiktionalisierung wahrer Ereignisse, indem er seine Hauptfigur Frost mit einem reichen Innenleben, komplexen Beziehungen und einer nur halb erinnerten Kindheit ausstattet. Der Roman gerät damit unerwartet persönlich und bewegend. Den Themenkomplex rechter Terror, den Ausgangspunkt des Buchs, berührt Ziegler dafür nur sehr indirekt – sodass sich die Frage stellt, ob es den historischen Rahmen überhaupt gebraucht hätte.
Mit „Eine andere Epoche“ hat es Ulf Erdmann Ziegler auf unsere Liste der besten Bücher im Januar 2022 geschafft.