„You Still Got Me“ von Beth Hart: Der Überraschungseffekt
Mit ihrem neuen Album „You Still Got Me“ wagt sich Beth Hart weit aus der eigenen Komfortzone heraus – und erinnert sogar an Tom Waits.
Beth Hart hat sich längst selbst durchschaut und weiß bestens, dass auch ihre Fans sie längst nicht mehr in die Kategorie toughe Rockarbeiterin stecken. Vielmehr wissen beide Seiten: Da ist eine Künstlerin im harten Geschäft unterwegs, die viel mit sich selbst und ihren eigenen Dämonen beschäftigt ist. Umso spannender ist es, wenn diese Frau, die ihre Songs eigenem Bekunden nie mit dem Plan eines neuen Albums im Hintergrund schreibt, sondern Nummer für Nummer aus dem emotionalen Moment heraus entwickelt, dann doch wieder einen Longplayer abliefert. So viel vorweg: Genau das merkt man „You Still Got M“ an. Eine Produktion von der Stange ist das beileibe nicht, sondern ein stilistisches Wechselbad. Klar, der geneigte Hörer denkt, warum nicht eine brachiale Rock-Arie mit Kollege Slash als Opener, warum nicht eine deftige Bluesrock-Nummer mit Eric Gales an der Seite? So kennen ihre Fans sie aus frühen Tagen: Alles auf die Zwölf, Pommesgabel in die Luft gereckt und die Mähne geschüttelt.
Hält aber nicht lange an, die Komfortzone, denn Beth packt Ungewohntes aus: „Never Underestimate A Gal“ ist ganz nah bei Tom Waits, „Drunk on Valentine“ gefällt als jazzige Pianoballade. Und vielleicht hat ihr irgendjemand nach Beyoncés erfolgreichem Nashville-Ausflug geraten, es mal mit Country zu versuchen: Gänzlich unbescheiden will Beth Hart dann „Big Bad Johnny Cash“ sein. Schon ein riesiger Kessel Buntes, das Ganze, und plötzlich wird klar, warum „Little Heartbreak Girl“ die erste Single-Auskopplung war, mit der die Fans Appetit auf „You Still Got Me“ bekommen sollten: Dieser eher genrekonventionelle Song ist vielleicht noch das, was man am ehesten von ihr gewohnt war, der Überraschungseffekt war also gesichert. Was von dem neuen Material bereits bühnentauglich ist, wird sich in diesem Spätherbst zeigen.