„Zweistromland“ von Beliban zu Stolberg
In ihrem Debüt „Zweistromland“ erzählt Beliban zu Stolberg von einer Tochter kurdischer Aleviten, die als Rechtsberaterin im von den Gezi-Protesten erschütterten Istanbul lebt.
Im Leben eines jeden jungen Menschen wird irgendwann der Moment unausweichlich, Licht in die familiäre Vergangenheit zu bringen und die eigene Biografie zumindest für einen kurzen Augenblick entschlüsselt zu wissen. Dass sich dieser aufklärerischen Anstrengung oft die eigene Familie mit aller Kraft in den Weg stellt, ist kein exklusiv deutsches Phänomen – so suggeriert es jedenfalls Beliban zu Stolbergs Debütroman „Zweistromland“: Aufgewachsen an der deutschen Nordsee, als Tochter kurdischer Aleviten, lebt die akribische Rechtsberaterin Dilan inzwischen mit ihrem Freund im von den Gezi-Protesten erschütterten Istanbul.
Erst als sie hochschwanger auf der Beerdigung ihrer Mutter von einer fremden Frau angesprochen wird, schiebt sich längst Verdrängtes unaufhaltsam in ihr Leben: Wieso hat sich ihr Bruder immer schweigend in seinem Zimmer eingeschlossen? Wieso sind ihre Eltern überhaupt erst aus der Türkei geflohen? Mit der Hoffnung, die Fesseln des Schweigens zu lösen, zieht es Dilan nach Diyarbakır, in die heimliche Hauptstadt der Kurd:innen. Den Fluchtgründen auf die Spur zu kommen, ist wohl Aufgabe der Sachbücher. Und so konzentriert sich zu Stolberg darauf, mit poetischer Sprache die unter Asche und Schweigen verborgene Trauer freizulegen.
Hat es Beliban zu Stolberg mit „Zweistromland“ auf unsere Liste der besten Bücher im November 2023 geschafft?