Das Comeback, das zu spät kam
Auf seiner letzten Platte verbindet der verstorbene Rapper seine altbekannte Aggression mit sanfteren Tönen.
Es ist mittlerweile traurige Routine: Ein Rapper stirbt, und es dauert nicht lange, bis das erste postume Album draußen ist. Pop Smokes Debüt ist erst nach seinem Tod erschienen, und erst kürzlich haben Czarface ihr letztes Projekt mit MF DOOM veröffentlicht. Mit „Exodus“ ist jetzt das Abschiedswerk des im April verstorbenen DMX draußen. Und wenn es dieses Mal recht schnell gegangen ist, dann, weil die Platte ohnehin bald rauskommen sollte. Sie war bereits fertig aufgenommen. Insofern unterscheidet sich „Exodus“ von den zynischen Ausschlachtungen der Karriere des Rappers, die mit Sicherheit früher oder später folgen werden. Umso tragischer, dass DMX die Veröffentlichung nicht mehr miterlebt hat.
Features: Von Nas über Usher bis Bono
Dabei war „Exodus“ offensichtlich als großes Comeback angelegt. Nachdem er Ende der 90er-Jahre und um die Jahrtausendwende einer der größten Stars im HipHop war, ist es nun lange still um DMX gewesen; er war eher bekannt für seine Skandale, seine Krankheiten, seinen Drogenkonsum als für neue Musik. Sein letztes Studioalbum „Undisputed“ ist 2012 erschienen und war alles andere als das, was der Titel verspricht. Anders als etwa Busta Rhymes im letzten Jahr hat DMX für „Exodus“ die fokussierte Route gewählt, durch die Jay-Z beispielsweise mit „4:44“ eines der angesehensten Alben eines alternden Rappers geschafft hat. Das bedeutet: relative Kürze (knapp vierzig Minuten), kein großartiges Konzept, die Produktion stammt größtenteils aus einer einheitlichen Feder – in diesem Fall die des legendären Swizz Beatz, der auch immer wieder als Ad-Libber in Erscheinung tritt.
Zugleich holt „Exodus“ weit aus, was die Gäste angeht. DMX hat die alten Rivalen Jay-Z und Nas auf einen gemeinsamen Track geholt („Bath Salts“) wie einst Kanye für „We Major“. Auf „Hold me down“ singt Alicia Keys die Hook, bei „Letter to my Son (Call your Father)“ ist es Usher. Beim Marvin-Gaye-unterlegten „Take Control“ greift Snoop Dogg DMX unter die Arme, auch Lil Wayne schaut vorbei („Dogs out“). Dass man sogar Bono im HipHop verwursten kann, ohne rot werden zu müssen, hat Kendrick Lamar eindrucksvoll mit „XXX“ bewiesen. Doch DMX überlässt Bono fast die Hälfte des als motivierend gemeinten „Skyscrapers“ und lässt den Song zu Kitsch verkommen.
Womit wir beim Kernproblem dieses ansonsten gelungenen Albums wären. Denn trotz der Fokussierung ist „Exodus“ nicht unbedingt eindeutig geraten. Am besten funktioniert es als monothematisches Mixtape, auf dem DMX in althergebrachter, aggressiver Weise über Schmerz und Gewalt rappt. Das konnte er auch am Ende noch besser als praktisch alle anderen. Swizz Beatz’ kalte, eher im Boom Bap als im Trap beheimatete Beats ergänzen diese Texte gerade im ersten Drittel der Platte zu einem kohärenten Gesamtbild.
DMX auf seinem letzten Album zwischen Härte und Kitsch
Doch im späteren Teil, wenn Melodien und Features oft überhand nehmen, vergisst man leicht, dass es sich hier überhaupt um ein DMX-Album handelt, so selten ist der Rapper selbst zu hören. Wüsste man nicht, dass „Exodus“ schon im Kasten war, als DMX gestorben ist – man würde vermuten, dass hier zu wenig Material durch die Gäste gestreckt wurde. Auch die harte Grundstimmung geht verloren, der letzte richtige Track „Letter to my Son“ ist eine Entschuldigung des Vaters von DMX an seinen ältesten Sohn – der jüngste wiederum ist in einem Skit zu hören und hat auch den Titel des Albums inspiriert, denn er heißt Exodus. Dafür packen Swizz Beatz und seine Mitproduzent*innen sogar Streicher und Klavier für aus. Als Closer gibt es dann noch „Prayer“, ein Gebet, dass DMX offenbar bei Kanye Wests „Sunday Service“ gesprochen hat.
Ehrlichkeit in Bezug auf die eigenen Ängste, Schwächen und Probleme war immer ein Markenzeichen von DMX, seine Magie liegt in der Verbindung von absoluter Aggressivität und größtmöglicher Verwundbarkeit. Insofern lässt sich auch die zweite Hälfte von „Exodus“ als logische Entwicklung verstehen, wenn sie auch manchmal gefährlich rührselig wird. Als kohärentes Statement funktioniert das Album trotzdem nicht wirklich – aber natürlich wusste DMX auch nicht, dass er hier sein letztes Album überhaupt aufnimmt. Wäre die Platte wirklich sein Comeback geworden? Dazu ist der Sound wohl trotz allem zu konservativ. Dennoch ist „Exodus“ ein Abschiedsgruß, auf den jede*r Rapper*in stolz sein könnte.