Wie das Leben
Um abwesende Väter geht es ständig, doch mit „Alles glänzt“ legt Jacqueline Woodson eine Familienchronik vor, in der die Mütter eine Leerstelle hinterlassen.
Abwesende Väter bevölkern unzählige Bücher, Filme und Songtexte. Aber Mütter, die ihre Kinder zurücklassen, kommen selten vor – vielleicht, weil wir auch als Gesellschaft den Vätern vergeben, den Müttern aber nicht. Jacqueline Woodson hat nun in „Alles glänzt“ diese unterrepräsentierte Konstellation zum Zentrum einer Familienchronik gemacht: Iris und Aubrey sind schon als Teenager Eltern geworden – zu früh, insbesondere für Iris. Sobald ihre Tochter Melody abgestillt war, ist sie zur Uni gegangen und hat Aubrey zurückgelassen. Jetzt ist Melody 16 und konfrontiert ihre Mutter. Doch die Aussprache ist für Woodson nur ein Anstoß: Sie springt in der Zeit umher, erzählt vielstimmig von der Liebe zwischen Melodys Eltern, von Iris’ Flucht ans Oberlin College und ihren Gewissenskonflikten, aber auch von Großeltern und Ahnen. Einzelne schnappschussartige Szenen zeichnen mosaikartig das Bild einer Schwarzen Familie in den USA, die durch die Jahrzehnte mit Rassismus, Armut, Trauer und Krankheit kämpft. Weil Woodson den Fluss der Zeit auflöst, überrascht allerdings das Ende in seiner Abruptheit; es fühlt sich an, als ob Woodson noch ewig so weitererzählen könnte, eine schmerzhaft deutliche Szene an der nächsten. Wenn es daher eine Sache an „Alles glänzt“ auszusetzen gibt, dann, dass der Roman schlicht zu kurz ist. Aber das ist das Leben ja auch.
Mit „Alles glänzt“ hat es Jacqueline Woodson auf unsere Liste der besten Bücher im Juli 2021 geschafft.
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