„Das mangelnde Licht“ von Nino Haratischwili: Wie es früher war
In ihrem neuen Roman schickt Nino Haratischwili vier Freundinnen durch die Hölle – und schafft es trotzdem, Wärme und Hoffnung durchscheinen zu lassen.
Eine Ausstellung in Brüssel bringt drei Freundinnen wieder zusammen: Keto, die Erzählerin, die obsessive Chronistin der Vergangenheit; die romantische Nene, die trotz aller Traumata unverwüstlich geblieben ist; und die ernsthafte Ira, die bis heute unter ihrer unerwiderten Liebe zu Nene leidet. Gemeinsam sind sie im Tbilissi der 80er und 90er aufgewachsen und haben den Fall der Sowjetunion, Sezessionskriege, Hungersnöte und Bandenkriminalität erlebt. Ihre Heldin während dieser Zeiten war Dina, die selbstbewusste und furchtlose Anführerin – die am Ende den Kampf verloren hat. Es sind ihre Fotografien, die hier ausgestellt sind, und die Ketos Erinnerungen wecken. Sie hangelt sich von Bild zu Bild und denkt an früher: die idyllische Kindheit, die turbulente Jugend, das schmerzhafte Erwachsenwerden.
„Das mangelnde Licht“ von Nino Haratischwili („Das achte Leben“) beginnt als altmodischer Schmöker: geduldig, detailliert und so unterhaltsam und bunt, dass das Lesen wie von allein passiert. Ihre Beschreibungen der Kindheit der vier Freundinnen lassen sie und ihre Umgebung zu fast greifbarem Leben erwachen. Doch diese gemütlichen Anfänge lassen die endlose Spirale aus Leid und Gewalt, die Keto, Dina, Nene und Ira nur allzu bald erfasst, umso intensiver wirken: Wenn Nene zwangsverheiratet wird und ihr Mann ihren Liebhaber ermordet, wenn Dina als Kriegsfotografin ihr Leben riskiert, wenn das Heroin ihre Welt zu erobern beginnt, wenn Keto sich täglich die Oberschenkel ritzt – wir fühlen mit, weil wir sie zu kennen meinen, seit sie Kinder waren.
In „Das mangelnde Licht“ umgibt Nino Haratischwili ihre Protagonistinnen mit einem komplexen Netz aus Familie, Freunden und Feinden.
Die Figuren sind dann auch bei weitem Haratischwilis größte Stärke; sie umgibt ihre Protagonistinnen mit einem komplexen Netz aus Familie, Freunden und Feinden. Manchmal ist es fast zu viel, was die Autorin ihnen – und damit uns – zumutet; jede vorstellbare Katastrophe sucht sie früher oder später heim. Doch zum einen machen die Rahmenhandlung und die Wärme zwischen den Freundinnen auch die düstersten Momente erträglich; zum anderen ist „Das mangelnde Licht“ eben nicht nur ein Buch über vier Frauen, sondern auch über ihr Heimatland Georgien, das Haratischwili mit den Augen der Liebe betrachtet: Sie übersieht die Narben nicht, doch sie erkennt auch die Schönheit darunter.