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Durchwachsene Routine

Stephen King: Blutige Nachrichten

Mit der Sammlung „Blutige Nachrichten“ beweist Stephen King, dass er immer noch bewegen und erschrecken kann – wenn er nicht mal wieder in Klischees verfällt.

Mindestens ein Buch pro Jahr, oft dicke Wälzer, und das seit Jahrzehnten: Stephen King schreibt, wie andere atmen und essen. Sein neuester Band „Blutige Nachrichten“ ist allerdings kein epischer Roman wie noch „Das Institut“ von 2019. Stattdessen sind hier auf verhältnismäßig knappen 560 Seiten gleich vier Erzählungen versammelt. Diese „Kurzromane“, wie es auf dem Klappentext heißt, verbindet nichts außer der Tatsache, dass sie alle unverkennbar aus Kings Feder stammen. Selbst Superfans geben zu, dass der enorm produktive Veröffentlichungsrhythmus des Horrormeisters auf Kosten seiner Originalität geht. Und so schwankt die Qualität der einzelnen Geschichten stark, je nachdem, wie ausgetrampelt die eingeschlagenen Pfade sind.

Im Zentrum steht die Titelgeschichte, eine Fortsetzung zu „Der Outsider“ von 2018: Wieder tritt die aus diversen Romanen bekannte Privatdetektivin Holly Gibney gegen einen Gegner an, der seine Gestalt wechseln kann. Dieses Mal gibt sich ein mysteriöses Wesen als Fernsehreporter aus, der die Bluttaten, über die er berichtet, auch verursacht. Die anfangs skizzierte Mediensatire – der Titel „Blutige Nachrichten“ bezieht sich auf die TV-Devise, nach der blutige Nachrichten sich besser verkaufen – gerät dabei rasch zugunsten eines vorhersehbaren Kampfes zwischen Gut und Böse in den Hintergrund. Interessant ist vor allem die komplexe Figur Hollys: King gibt zu, sich in sie verliebt zu haben, und lässt Raum für ihre Neurosen, ihre Schwächen und zunehmenden Stärken. Das funktioniert auch, wenn es für die Leser*innen die erste Begegnung mit Holly ist.

King-Klischees und ungewohnte Töne

Dagegen häufen sich in „Mr. Harrigans Telefon“ die King-Klischees: Kindheitserinnerungen, unerklärlich grausame Bullys und ein Alltagsobjekt, das plötzlich unheimlich wird. Craig hat seinem alten Nachbarn Mr. Harrigan nämlich ein iPhone geschenkt, das auch nach dessen Tod weiter Nachrichten schickt! Diesen dünnen Plot nutzt Stephen King für den Versuch, seine patentierte Kleinstadtnostalgie mittels moderner Technik ins 21. Jahrhundert zu zerren – was diese aber nicht weniger überholt macht.

Auch „Ratte“ erinnert an Dagewesenes: Ein Autor sitzt in einer abgelegenen Hütte fest, während draußen der Schneesturm tobt. Hier fehlen zwar die Drogen und die sadistische Krankenschwester aus „Sie“, doch stattdessen schildert King detailliert den Kampf seines Protagonisten Drew, ein einziges Mal einen Roman zu beenden. Ein Problem, dass er selbst gar nicht kennen dürfte. Der methodische, unaufgeregte Ansatz ist nicht, was man mit King assoziiert, und allein deshalb interessant.

Noch weniger typisch und folglich auch die beste Geschichte aus „Blutige Nachrichten“ ist „Chucks Leben“: Hier fließt kein Blut, es gibt keinen Gegner außer der Zeit, und alles Übernatürliche steht im Dienst der zentralen Aussage. Ohne zu viel zu verraten, nimmt King hier Walt Whitmans Deklaration „I contain multitudes“ denkbar ernst und führt sie zum unvermeidlichen Abschluss. Das ist überraschend bewegend – und viel angsteinflößender als alle Gestaltwandler und iGhosts, die man sich ausdenken kann.

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