„Echtzeitalter“ von Tonio Schachinger: Spiel, Satz und Sieg!
Mit seinem Roman „Echtzeitalter“ etabliert der Wiener Autor Tonio Schachinger ausgerechnet ein Computergame als Signal für herausragende Literatur.
„Echtzeitalter“ von Tonio Schachinger ist unsere Buchempfehlung der Woche.
Etwa dreieinhalb Jahre ist es nun her, dass Juan S. Guse einen Roman vorgelegt hat, der selbst Vergleiche mit David Foster Wallace nicht scheuen muss – und Guse eröffnet „Miami Punk“, indem er eine seiner Protagonistinnen eine Partie „Age of Empires 2“ zocken lässt. Es ist der furiose Auftakt eines dystopischen Textes, mit dem Guse eine Welt vermisst, in der immer mehr sinnstiftende Strukturen und Bedeutungen wegbrechen.
Im zweiten Roman von Tonio Schachinger spielt „Age of Empires 2“ sogar noch eine sehr viel zentralere Rolle: Auch der pubertierende Held Till sucht nach sinnstiftenden Strukturen – und die findet er vor allem in diesem Game, bei dem es in Echtzeit darum geht, Rohstoffe zu sammeln und Truppen zu formieren, sein Imperium mit Gewalt und Technologie über andere Imperien triumphieren zu lassen. Till nutzt das Spiel, um seiner Realität an einem Wiener Halbinternat zu entkommen und den Krebstod des Vaters zu verarbeiten. Und Till ist gut, schon bald wird er als jüngster Top-10-Spieler der Welt zur Internetberühmtheit.
Mit „Echtzeitalter“ transformiert Tonio Schachinger den vermeintlich überkommenen Schulroman ins Jetzt
Doch natürlich hat Till auch einen Gegenspieler in der nicht-virtuellen Welt: den konservativen und schwer bildungsbürgerlichen Lehrer Dolinar, der die Schüler:innen mit Überwachung und durchaus sadistischen Methoden zurück zur Reclamliteratur treiben will. Indem der 31-jährige Schachinger dieses Duell mit feiner Ironie beschreibt, transformiert er nicht nur den vermeintlich überkommenen Schulroman ins Jetzt. „Echtzeitalter“ ist auch ein sehr gegenwärtiges Portrait der so geschichtsträchtigen Stadt Wien.
„Echtzeitalter“ von Tonio Schachinger ist unsere Buchempfehlung der Woche. Zuletzt haben wir an dieser Stelle „Durch das große Feuer“ von Alice Winn vorgestellt.