„Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“ von Yade Yasemin Önder: Kotz dich aus!
Identität, Zugehörigkeit und Bulimie werden in der Literatur oft verhandelt. Doch erst Yade Yasemin Önder findet dafür den passenden Sound.
Trauen sollte man der namenlosen Icherzählerin aus „Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“ von Yade Yasemin Önder besser nicht, doch was als einigermaßen gesichert gilt: Sie wird ein Jahr nach Tschernobyl geboren und wächst in einer deutschen Kleinstadt auf. Als sie acht Jahre alt ist, stirbt ihr Vater, ein schwer übergewichtiger Türke, bei einem Unfall, für den sich die Protagonistin die Schuld gibt. Das Verhältnis zur deutschen Mutter ist schwierig, sie erkrankt an Bulimie, kommt in eine Reha-Einrichtung, bricht die Behandlung jedoch vorzeitig ab und stürzt sich auf der Suche nach Halt und Geborgenheit in wahllose Sex-Abenteuer.
Mit ihren Debütroman hat die 1985 in Wiesbaden geborene Yade Yasemin Önder bereits vor vier Jahren beim Open Mike gewonnen, damals noch unter dem Titel „bulimieminiaturen“. Auch jetzt ist der Text noch zersplittert – und doch hat Önder ihm eine spektakuläre Dramaturgie verpasst. Ihre Heldin wütet zornig und aggressiv, sie springt in der Zeit, übertreibt, will bestimmte Sachverhalte nicht preisgeben und verschanzt sich dafür hinter wunderbar absurden Metaphern. Doch Önder federt ihre schweren Themen auch mit sehr viel Humor ab. Vor allem aber sorgt sie dafür, dass beim Zusammensetzen der Splitter auch eine sehr zarte, verletzliche Heldin erkennbar wird.
Hier geht es zu unserer Liste der besten Bücher im April 2022