Die besten Bücher 2020: Empfehlungen für den Dezember
Romane, um es sich an den Feiertagen und zwischen den Jahren daheim gemütlich zu machen: Die besten Bücher im Dezember 2020 mit Don DeLillo, Brit Bennett, Jonas Jonasson und Ulrike Almut Sandig.
Die Vorweihnachtszeit ist stressig, doch zum Ausgleich kann man es sich dann zwischen den Jahren mit guten Büchern gemütlich machen. „Die verschwindende Hälfte“ ist eine zersplitterte Familiengeschichte, und weil Brit Bennett so eindringlich vom Rassismus erzählt wie schon lange kein Roman mehr, darf ihr Werk auf unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2020 natürlich nicht fehlen. Auch Jonas Jonasson ist dabei, denn mit „Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“ gelingt es ihm erneut, ein sensibles Thema als perfekte Unterhaltung aufzubereiten. Ebenfalls auf unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2020: Don DeLillo. „Die Stille“ liest sich wie eine Antwort auf unsere gegenwärtige Pandemie, dabei hat er den Roman bereits kurz vor dem Ausbruch von Corona vollendet. Ganz oben auf unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2020 steht jedoch eine Lyrikerin: „Monster wie wir“ lautet der Titel von Ulrike Almut Sandigs Debütroman, den sich die 41-Jährige bis jetzt aufgespart hat, um einem schwierigen Thema einen ganz neuen Ton zu verpassen.
8. Andrea Petković Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
Nach der Tennisweltrangliste steht sie nun auch auf unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2020: In ihren autobiografischen Erzählungen bekennt Tennisprofi Andrea Petković, dass sie die US-Autoren David Foster Wallace und Jonathan Franzen liebt – und beweist zugleich, dass sie selbst vor solchen Vergleichen keine Angst haben muss.
Kiepenheuer & Witsch, 2020, 272 S., 20 Euro
7. Judith Zander Johnny Ohneland
Warum ist dieser Roman nicht mindestens auf der Longlist des diesjährigen Buchpreises aufgetaucht? Aus Joana Wolkenzin wird Johnny, und von Vorpommern aus geht es nach Finnland und Australien. Wir setzen Judith Zander rasch auf unsere Liste der besten Bücher im Dezember 2020.
dtv, 2020, 528 S., 25 Euro
6. Stefanie Sargnagel Dicht
Passt perfekt, um aus der Besinnlichkeit rauszukommen: Mit der Coming-of-Age-Geschichte der Wienerin zieht man mit einer Außenseiter-Clique von Rausch zu Rausch.
Rowohlt, 2020, 256 S., 20 Euro
TOP5
5. Jonas Jonasson Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte
Victor ist ein kunsthassender Kunsthändler, der sowieso alles hasst, was nicht völkisch rein ist. Glücklicherweise lässt sich die ansonsten nutzlose Galeristentochter Jenny leicht heiraten, so dass er das ganze Geschäft an sich reißen und sie anschließend abstoßen kann. Auch den unehelichen Sohn Kevin mit falscher Hautfarbe kann er kurzerhand irgendwo in Afrika aussetzen – Problem gelöst. Wäre da nicht der Massaikrieger, der Kevin adoptiert und ihm bei seinem aberwitzigen Racheplan gegen Victor unterstützt. Mit schwarzem Humor macht Jonas Jonasson die sensibelsten Themen zur Unterhaltung. Allerdings besteht die Gefahr, dass trotz der guten Absichten, auf bedrohte Demokratien aufmerksam zu machen und die Freiheit der Kunst zu würdigen, genau diese Punkte in der albernen Stimmung untergehen. Mitunter wiederholt sich die absurde Komik und ermüdet. Wer den heiter-grotesken Ton aber durchhält, bekommt letztlich ein wohltuendes Spiegelbild, das für globale Schieflagen sensiblisiert und mit einer feierlichen Lobeshymne auf die Menschlichkeit endet.
C. Bertelsmann, 2020, 400 S., 22 Euro
Aus d. Schwed. v. Astrid Arz
4. Don DeLillo Die Stille
„Was, wenn wir har nicht sind, was wir zu sein glauben? Was, wenn die Welt, die wir kennen, komplett neu geordnet wird, während wir dastehen und zuschauen oder dasitzen und reden?“ „Die Stille“ liest sich wie eine Antwort auf die Pandemie, dabei hat Don DeLillo den Roman kurz vor dem Ausbruch vollendet. Umso gruseliger ist seine Schilderung einer Welt, die lahm gelegt wird – wenn auch nicht von einem Virus, sondern dem Ausfallen aller digitalen Kommunikation. New York im Jahr 2022: Es ist der Super Bowl Sunday. In einer Wohnung auf der East Side von Manhattan wollen fünf Menschen gemeinsam das Finale der American Football-League im Fernsehen anschauen. Die emeritierte Physikprofessorin, ihr Mann und ihr früherer Student warten auf die Ankunft eines befreundeten Paares, das gerade auf dem Rückflug von Paris ist. Die Gespräche drehen sich um Einsteins Relativitätstheorie, ein Überwachungsteleskop im nördlichen Chile und eine besondere Bourbon Marke. Und dann passiert etwas Seltsames: Auf einmal brechen alle digitalen Verbindungen ab. Sämtliche Bildschirme werden schwarz. Tiefschwarz. Die Freunde treffen ein, ihr Flug war dramatisch …
Kiepenheuer & Witsch, 2020, 112 S., 20 Euro
Aus d. Engl. v. Frank Heibert
3. Michael Büssselberg (Hg.) Sie wollen uns erzählen – Zehn Tocotronic-Songcomics
Musikvideos ohne Ton: Das haben die zwölf Zeichner*innen und -autor*innen für ihre Lieblingssongs von Tocotronic in dem Comicband Sie wollen uns erzählen geschaffen – mit der Ausnahme von Tocotronic-Schlagzeuger Arne Zank, der als Dreingabe einen Comic zur Entstehungsgeschichte der Band beisteuert. Einige der zwölf Comics sind persönlich und erzählerisch (Christoph Taubers und Katja Klengels lebhafte Illustration der Vorstadt aus „Let there be Rock“), andere abstrakt und traumartig (Eva Feuchters großartige, innige Fassung von „Aber hier leben, nein danke“). Eins haben sie jedoch alle gemein: Nach der Lektüre hört man die ihnen zugrundeliegenden Songs mit gänzlich anderen Ohren. Die Idee zu diesem Sammelband ist Herausgeber Michael Büsselberg schon vor ein paar Jahren gekommen, nachdem er in Frankreich auf ein ähnliches Buch mit Interpretationen von Songs des Chansonniers Jacques Dutronc gestoßen war. Künstler*innen wie Julia Bernhard, Jim Avignon und Anna Haifisch nähern sich Tocotronic mit Popart, Graphic Novel und dem klassischen Comic. Von „Drüben auf dem Hügel“ über „Let there be Rock“ bis hin zu „Regel Boy“ reflektiert das Buch die 27-jährige Geschichte der Band.
Ventil Verlag, 2020, 128 S., 25 Euro
2. Brit Bennett Die verschwindende Hälfte
Ausgangspunkt für ihre Geschichte der Zwillingsschwestern Stella und Desiree ist der winzige Ort Mallard in Louisiana, dessen schwarze Bewohnerschaft ein großes Ziel verfolgt: mit jeder Generation immer hellhäutiger zu werden. Je weißer, desto besser – so lernen es Stella und Desiree von Kindesbeinen an. Die Zwillinge wagen als Teenager in den 1950er-Jahren die Flucht aus dieser beklemmenden, vom Hochmut der „besseren Schwarzen“ geprägten Gemeinschaft und gehen gemeinsam nach New Orleans. Dort aber trennen sich ihre Wege. Stella bemerkt, dass sie dank der Bemühungen Mallards problemlos als Weiße durchgeht, wenn sie zu ihrer Herkunft schweigt. Sie entscheidet sich für das sogenannte Passing: Sie kappt alle Verbindungen, heiratet ihren weißen Vorgesetzten und bekommt eine blonde Tochter mit Augen „so blau, dass sie lila aussahen“.
Desiree hingegen knabbert Jahre am Verschwinden der Schwester, tut sich dann mit dem dunkelhäutigsten Mann zusammen, den sie finden kann, und bekommt ebenfalls eine Tochter: Jude, deren Haut nicht nur „raben-“, sondern „blauschwarz“ ist – „wie frisch aus Afrika eingeflogen“. 1968, im Jahr von Martin Luther Kings Ermordung, kehrt Desiree mit diesem tiefschwarzen Kind ins fast gar nicht mehr schwarze, aber ganz und gar nicht weiße Mallard zurück, immer noch getragen von der Hoffnung, ihre verschwundene Zwillingsschwester wiederzufinden. Über mehrere Jahrzehnte hinweg begleitet Brit Bennett ihre Protagonistinnen und deren Töchter, die sich auch begegnen werden.
Das Abspalten wichtiger Biografie- und Lebensbereiche, das Passing in verschiedenen Formen, ist und bleibt dabei das große Thema der vier Frauen und auch ihrer Partner*innen. Als weiße*r Leser*in ist man geneigt, dem Dilemma Stellas zunächst mit Unverständnis zu begegnen: Warum wäre es so schlimm, wenn ihre Familie, Freund*innen, Nachbar*innen die wahre Herkunft, ihr „Schwarzsein“, erkennen würden? Sie wäre doch immer noch dieselbe Stella … Oder nicht? Diese Komplexität aufzuzeigen, die Mär vom Rassismus als Trennlinie zwischen „den“ Schwarzen und „den“ Weißen aufzubrechen – das ist Bennetts großer Verdienst. Darüber hinaus ist es ganz und gar beglückend, wie liebevoll, unaufgeregt und frei von Voyeurismus die 30-jährige Autorin ihre Figuren zeichnet und ihnen dadurch – bei all ihrer Vielschichtigkeit und den individuellen Schicksalen – eine große Normalität verleiht.
Zwar spielt „Die verschwindende Hälfte“ vornehmlich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, vor dem Hintergrund einer noch konservativeren Gesellschaft als der heutigen. Dennoch ist der Roman von großer Aktualität – zeigt er doch emotionale Bedürfnisse, Unsicherheiten, Krisen auf, die unabhängig von Zeit und letztlich auch Raum sind. Nur knapp verpasst Brit Bennett die Spitzenposition auf unserer Liste der besten Bücher im Dezember 2020.
Rowohlt, 2020, 416 S., 22 Euro
Aus d. Engl. v. Robin Detje
1. Ulrike Almut Sandig Monster wie wir
Ulrike Almut Sandig ist etablierte Lyrikerin. Ihren ersten Roman hat sich die 41-Jährige aufgespart, um einem schwierigen Thema einen ganz neuen Ton zu verpassen: In „Monster wie wir“ erzählt sie von den besten Freund*innen Ruth und Viktor, die in der ostdeutschen Provinz aufwachsen. Beide erfahren in ihrer Familie Gewalt und sexuellen Missbrauch. Während Ruth sich mehr und mehr in ihre Karriere als Musikerin flüchtet, sucht Viktor einen Halt in der Neonaziszene und geht schließlich als Au-pair nach Frankreich.
Sandig schreibt nicht autobiografisch, doch war es ihr wichtig, in ihrem Text mit Autofiktion zu arbeiten. So schafft sie eine Erzählhaltung, mit der sie sehr dran an ihrem Thema ist, doch vermeidet sie diesen Ton der Betroffenheit, der bei vielen anderen Büchern zum Thema Gewalt und Missbrauch eher abschreckend wird.
„Es gibt kaum verhaltene Reaktionen auf mein Buch“, sagt Ulrike Almut Sandig im Interview mit kulturnews. „Die Leser*innen reagieren sehr stark in die eine oder in die andere Richtung. Mir fällt auf, dass es vielen lieber gewesen wäre, ich hätte ein rein autobiografisches Buch geschrieben. Wo ich mich dann ganz klar positioniere und sage: Ja, mir ist sexuelle Gewalt widerfahren. Bei dieser Art von Büchern denke ich aber, dass wir mit der Diskussion nicht weiterkommen. Das ist dann für die Leser*innen wie ein bequemer Sessel, in dem sie sich zurücklehnen können: Okay, ich bin nicht sie, ich habe damit nichts zu tun, das ist ihre Geschichte. Es stellt keine Sicherheiten infrage. Wahrscheinlich ist das sogar das größte Problem – dass ich mir sozusagen erlaubt habe, mit dem Thema in einem Roman auch spielerisch und manchmal sogar humorvoll umzugehen.“
Schöffling, 2020, 240 S., 22 Euro